Morgenminiatur

 

Die Straße, die Häuser,

zehn Etagen, die Dächer

von Krähen und Tauben bewohnt,

Halbtote in späten Betten,

milchigen Traumstaub

in den Lidern.

 

Hauptstraßenwahnsinn

schon am Morgen, das Ding ohne

Anfang und Ende, und der neue Mensch

in verkrusteten Schläuchen, alt wie

das Klacken der Kirchturmuhr

im Rundlauf der Zeiten.

 

Die Straße, die Häuser,

die taube Sanftmut des Himmels -

gestaltlos weht Zukunft ins Haar,

morgens, wenn die Stadt sich

taumelnd dem Mahlwerk

des Tages ergibt.

 

6.2.16

 

Straße, alte Straße

 

Jahre aus Spinnengespinst,

Singen und Klagen der Steine.

Möwen am Hafen, Flügelgewölk,

Hatz in den Lüften.

 

In den Fenstern Licht,

Fremde, Menschengestalten.

Geschwärzt die Brücke,

Jede Bohle durchlitten.

 

Der Schleppkahn versunken.

Die ihn lenkten, wo sind sie

Geblieben? Das letzte Kommando,

Rief es irgendwer?

 

2012

 

Berliner Stadtschloss

 

Das hat zum Glück uns noch gefehlt:

ein Schloss aus Urgroßväters Zeiten!

Berlin ist happy und beseelt –

trotz Unterschleif und Spendenpleiten.

 

Da stand mal was, wer weiß es noch,

jetzt will es einfach keiner wissen.

Dann gähnte da ein tiefes Loch –

Was war, ist futsch, ist abgerissen.

 

Sie ziehen uns durch den Kakao,

man hat uns gründlich eingelullt.

Wer braucht den hochfeudalen Bau

und wer den dummen Preußenkult?

 

Jetzt muss der Kaiser wieder her!

Der macht das Schloss doch erst komplett –

mit güldnem Pomp und blanker Wehr

und kaiserlichem Hofklosett.

 

27.4.13

 

Berlin inmitten

 

Stadt, die mir

zugefallen, gestorben im Inferno

und wieder auferstanden,

Stadt mit ihrem Gestöhn in den Nächten,

dem Wolkenmeer über Häusern,

dem grauenden Tag.

 

Als sei mir

jeder Bordstein bekannt, als sei

selbst das Unwetter über den

Dächern ein Du. Und doch, fremd

die Stadt, fremder noch als die

eigene alternde Haut.

 

Das Gestern verborgen

hinter getünchten Fassaden,

kaum erkennbar für jene, die später

kamen. Neues fern aller Poesie,

alles heimisch sein Wollenden,

aus Betonstaub geboren.

 

In den Höfen

brütet der Juni, Brachen in

Straßen, deren Namen halb vergessen,

weisen auf Lecks, die ihr Echo werfen

in die sonderbare Lautlosigkeit

des frühen Stadtsommers.

 

19.6.16

 

Wohlstandsmüll

 

Und dann die Brache,

wild grünendes Eiland inmitten

der weißen Häuser, blaues Blühen,

übermächtige Gräser, zwischen denen

ein rostiges Rinnsal versickerte.

 

Wir sprachen vom Elend,

das über die Erde gekommen, bedenkend,

dass sie uns nicht braucht, wir aber

sie, und stolperten über modernde

Zeugen der Zivilisation.

 

Wozu Krieg, fragtest du,

wenn wir die Welt auch ohne ihn

ruinieren können, und du sinniertest über die

Scherbe in der Hand mit der Aufschrift

„Trautheims Wundersalbe“.

 

9.1.16

 

Heimwärts

 

Welt ist die Straße nun,

mit der ich vertraut bin, als sei sie

mir angewachsen an den Leib, und doch

immer wieder die Fremdheit in mir

bei so viel Normalität.

 

Jetzt hat der Winter

begonnen, ungeduldig hoffe ich schon

auf sein Ende, das erneut

dem Auge die Farben der Erde

zu trinken gibt.

 

Ich denke an die Wenigen,

die mir geblieben, und an die Toten,

die gingen ohne Nachricht,

deren Werke den letzten Handgriff

noch bezeugen.

 

Was bleibt, ist Erinnern,

ist Ahnung von dem, was kommt,

wenn ich unter der Januarsonne dahinschreite,

als zöge es mich durch ein Zeitentor

ins Ungewiss.

 

1.1.16

 

Großstadterwachen

 

Rot steigt heute die Sonne

hinter den schlafenden Häusern auf

und vertreibt die Kühle der Nacht,

wir schütteln die Träume ab, die uns

im Dunkel bedrängten.

 

Stumme, erstarrte Gestalten,

die kleine Angst vorm Ungewissen

in den Gliedern, erblicken wir

den Tag, von dem wir nicht ahnen,

ob er gut wird oder nicht.

 

Erst wenn die Autos

über die Dämme hetzen, gejagt von

unbegreiflichem Zeitverlust, wird alles

gut, eins wissen wir uns wieder

mit menschlicher Ordnung. 

 

24.5.15

 

Nach Mitternacht

 

Die dreißig Schritt von

Laterne zu Laterne gehüllt ins

Dunkel der Geheimnisse, und die

Wagen am Straßenrand träumen

von Ahornchausseen.

 

Ein Geräusch von irgendwo,

ein altes Lied, lang nicht gehört,

und der Mond glänzt dazu auf dem

Straßenpflaster, jemand hebt ein

verlorenes Gesicht auf.

 

15.3.15

 

Lebensentwürfe

 

Da sind nur die Autostraßen, die

Kreuzung und ihre dampfenden

Bulldogs, die weißen Fenster, hinter

denen Illusionen lauern.

 

Alles geregelt, die Straßen

sind aufgeräumt, wir leben nach

dem Kalender, und an der Ampel

wartet das Glück auf Grün.

 

Gewöhnt ans Sehnen nach

dem, was nicht ist, überdauern wir

Jahre, greifen wir nach der Taube

auf dem Dach.

 

12.3.15

 

Damals, im Frieden

 

Die großen Boulevards, das

preußische Unter den Linden, die

Champs Elysées, der Newskiprospekt

ohne Charme, unsere Süchte

nach ihnen halten sich in Grenzen.

 

Damals, in besseren Zeiten, als

noch die Kaiser regierten, das Pfund

Butter Pfennige kostete, die

manche nicht hatten, ach damals

vor den Kriegen.

 

Damals glaubten wir noch,

wir glaubten, dieser Krieg sei der letzte

gewesen, alle Schlachten geschlagen,

wer noch heimkehren konnte,

sprach vom endgültigen Frieden.

 

Ja, die großen Boulevards, hier

geht auch heute die Sonne nicht unter,

doch blasser geworden, unkenntlich

die früheren Welten, nur das TV noch

mit schönen vergilbten Bildern.

 

6.2.15

 

Mitten unter den Linden     

                                                      

Gesichter, Gesichter,

die Menge schiebt sich durch Gassen

von Gesichtern, die einander

nicht erkennen, allgegenwärtig

Berührungsängste.

 

Nach Abgasen riecht es,

Erdaushub und frischen Gewinnen,

vor den Cafés mit bekannten Namen

Leute mit Glasaugenblicken, geldträchtig

Bäuche allerorts.

 

Fremd fühlst du dich, fremd

unter Fremden, nicht mehr deine Stadt,

die komische Oper aufgesetzter

Weltläufigkeit führt ihren Orgasmus

in Imbissbuden vor.

 

Schon bist du Ecke Friedrichstraße,

sparst dir das Brandenburger Tor, seine

teutonischen Säulen schrumpfen

bei gewissem Abstand, und die Ampel

steht seit Minuten auf Gelb.

 

2.2.15

 

Frankfurter Allee

 

Nichts passiert, die Allee

unterm Trostpflaster der Warenangebote,

es wird sparsam gekauft, die

Geschäftsleute stöhnen, hoffen

aufs kleinste Business.

 

Frankfurt ist weit, so weit

wie Mexiko vor Kolumbus, die Oder

fließt da vorbei wie damals, als

als die Russen kamen mit

ihren T 34 und Panjewagen,

 

als wir aufbrachen in die

neue Welt, die weißen Häuser

bauten, aufwärts ging es aus

Dreck und Ruinen, die Allee eine

Straße mit Geschichte.

 

Kann sein, nachts wenden die

Sterne sich ab, kein Kuss unter der

Laterne, Menschen auf der Suche

nach Glücksersatz, nachts in der

Frankfurter Allee.

 

1.2.15

 

Lichtenberger Brücke

 

Gang durch die Straßen, vorbei

am Bahnhof, dessen Züge mich in keine

Zukunft fahren werden, an Läden, Kirchen,

Autohäusern vorbei, an Spielcasinos,

und ein Schuster heißt Dante,

der Versicherungsagent Ackermann.

 

Ich stehe auf der Brücke über

den Gleisen, weit hinten, im Dunst,

verschwimmt der Fernsehturm,

und das Wandbild des Nikaraguaners

ist überputzt worden, menschenlos

die Gegend, rollende Räder nur.

 

29.1.15

 

Bahnhof Kottbusser Tor

 

Hier, unterm landschaftslosen

Innern der Stadt, in den Katakomben des

Rausches auf der verbotenen Suche

nach Glück, erreicht uns öfter

die Flaschenpost Verzweifelnder.

 

Überflutet von Formen und Farben

meiden wir alles Gewöhnliche, unsere

Schuldlosigkeit wächst zu vollendetem

Leugnen menschlicher Zustände,

sie berühren uns nicht.

 

Selbstgewiss übersehen wir

die bittende Hand, wir sind unsere

eigenen Bettler, wir sind ganz bei uns

da fährt der Zug ein, wir müssen

pünktlich sein.

 

25.1.15

 

Januarmorgen

 

Schräg der Ausblick

ins weiße Gewirr der Elfgeschosser, ins

Gegenüber des Zuhauses

deines Refugiums.

 

Unversehens Lichter, zahllos

hinter verborgenen Fenstern, Schutz

vor dem bösen Blick, Menschen

erfinden sich neu.

 

Berlin, der Moloch,

nie sprach er deutlicher, nie riss er

die trägen Augen so auf wie

an diesem Morgen.

 

Nicht abreißen will der Strom

der Autos, Bahnen jagen über die

Schienen, gewohnte Geräusche.

Heimat Stadt, sie überwintert.

 

14.1.15

 

Hier und niemand

 

In mir trag ich blauende Landschaft

Fernen, nichts als Fernen, Lärchenwälder.

Ich gebe mich der Stadt zurück, den

Schnellstraßen, dem Laternenlicht,

den streunenden Katzen.

 

Der graue Nacken hiesigen Himmels

trotz aller Verheerungen schön.

Ich wüsste nicht, was mich abhielte,

ihn zu lieben, ich mag die Melancholie

lautloser Wolkengebirge,

 

die stillen Morgen ohne Fernsehen,

den Blick in den Dämmer der Straße.

Stadt, die mich nicht vergisst, die ihre Häupter

zusammenhält, wo die Tage ihre Trauer

verbergen, als gehöre sie sich nicht.

 

8.1.15

  

Im Innern der Stadt

 

Berlin unter gütigem Nebel,

ohne Himmel der Himmel, als sei das Ende

der Stadt gekommen, unbemerkt

Blutspuren vom Pflaster getilgt, schwer,

an die Auferstehung der Märtyrer zu glauben,

vergessen die Taten, die Leiden.

Stolpersteine, gutgemeint, markieren

die Toten.

 

Fernab in Doorn starb der Kaiser,

der Führer im Bunker; ein Kinderspielplatz

Aufforderung und Zeichen an 

unheilvoller Stelle.

 

Der Nebel macht alles gleich, den Kommerz,

den, der Wasser in Wein verwandeln will,

berauscht von Erfolglosigkeit.

 

Durch weißen Rauch

schlurft die Stadt auf unschuldigen Sohlen

die Absätze schief, Nebelschwaden

vergeben nicht, und ach, die Völker

vergessen so leicht.

 

11.1.15

 

Sonntagmorgens

 

Reglosigkeit

der frühen Stunde,

die schlafende Stadt

ins Gemäuer gesperrt.

 

Blech an Blech

am Straßenrand, traurig

leere Balkons mit dem

Hang zum Schnörkel.

 

Im novemberkahlen Geäst

flattert eine Lidl-Tüte,

aus dem Nichts ein

Taubenschwarm.

 

Glück der Morgenstille,

und hinter jedem Gestrüpp

hockt voll Schwermut

die graue Nebelfee.

 

7.12.14 

Hinter den Häusern

 

Glasige Stille des Mittags,

Bäume und Gräser ruhen, verstummt

die Vögel und Heupferde.

 

Gewoge der hohen Pappeln,

tänzerisch, zwischen weißen Fassaden,

fern das Rauschen des Stadtverkehrs,

hoch die Sonne im Tageszenit.

 

Unter bunten Markisen ein Raunen

von Menschenstimmen, und

irgendwo in den Büschen bellt ein

trauriges Hündchen.

 

Über die Dächer wölbt sanft

sich der Marmor des Himmels, Schweigen

tritt in die Schatten der Mauern.

 

1.7.14 

 

Kapitale

 

Ein jeder weiß zuerst, was selbst ihm nützt,

in dieser Stadt, die doppelt sich verhöhnt,

wo klandestin man sich als Größter wähnt

und Menschenabfall unter Brücken sitzt.

 

Idylle sprießt aus grauem Pflasterstein,

aus Tränentagen macht man sich ein Fest,

die Hinterhöfe zeugen vom Gebrest

der Einsamkeit – auch heut ist man allein.

 

So zwischen Feuerwerk und Depression

und Aufschwungeuphorie und Niedergang

Berlin – die Stadt ganz ohne Notausgang,

auf Neu getrimmt das deutsche Babylon.

 

24.5.14

 

Abendliches

 

Auf Dächern irrlichtert die letzte Sonne,

wie leergeputzt liegt nun die Straßenfront.

Noch schlängeln Autos sich in der Kolonne,

die Welt vergraut am Wolkenhorizont.

 

Der Tag verstolpert jetzt sein eignes Ende,

ein warmer Wind verweht, was von ihm blieb.

Ich warte nur noch auf die dunkle Wende

und nehme still mit meinem Selbst vorlieb.

 

Ach, Ruhe findet jetzt das Stückchen Erde,

das Welt mir ist und einzig, was ich habe.

Und dieses hingesagte „Stirb und werde“

wird mir zur tiefersehnten Abendgabe.

 

30.4.14

 

Morgenritual

 

Die Amsel singt, rechts an der Kreuzung piept es,

und ein paar Autos rauschen durch das Dunkel.

Der wache Mensch als Frühaufsteher liebt es,

weit mehr als seiner Wände Rumgemunkel.

 

Er lauscht hinaus, noch kann er kaum was sehen,

als Pünktchen ahnt er ferne Lichter flimmern,

und unten hört er schmatzend Schritte gehen.

Bemerkt beruhigt schon ein blasses Schimmern.

 

Der neue Tag kommt langsam aus den Puschen.

Dann wolln wir mal, sagt sich der Mensch ergeben,

er schlurft ins Badezimmer, Seele duschen.

Und seufzt: Es ändert sich doch nichts im Leben.

 

Großstadtglück

 

Ich fahr so gerne mit der Dreizehn Bahn,

bis raus in die Prärie vor Groß-Berlin.

Die Fahrt ins Grüne hat’s mir angetan -

den kalkigen vier Wänden mal entfliehn.

 

Erst wird gezuckelt durch die halbe Stadt,

die Straßennamen wechseln, Haus um Haus,

mal gelb, mal weiß, mal Künstlerfarben satt.

So fährt’s sich langsam aus der Stadt heraus.

 

Gemütlich sitz ich da, bestaun die Welt,

die draußen harmlos vor dem Fenster treibt,

im Original, noch ländlich unverstellt,

wie sie kein Dichter treffender beschreibt.

 

Diss ville Jrün, wie der Berliner sagt,

diss übawälticht mir wie een Orkan -

als einer drohend nach dem Fahrschein fragt.

Gleich bin ich wieder wach und momentan.

 

Die Bahn wird immer leerer – Endstation!

Im gleichen Zuckeltrab geht’s dann zurück,

bloß diesmal umgekehrt die Sensation.

Adieu, mein kleines grünes Großstadtglück!

 

30.1.14

 

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City

 

Die Namen fremder Städte noch im Ohr,

durchwanderst du mal deine eigne Stadt.

Es protzt wie einst, das Brandenburger Tor,

dir kommt was hoch, du hast Geschichte satt.

 

Dann gehst du Richtung Alexanderplatz,

du schnupperst die Berliner dicke Luft,

die aufgesetzte Hektik, diese Hatz,

saugst ihn tief ein, den abgasreichen Duft.

 

Und da stand der Palast, du weißt es noch.

Jetzt wird gegraben in Vergangenheit.

Versonnen blickst du tief ins Buddelloch:

Sie schreitet vorwärts, ihre neue Zeit.

 

Am Wasser legen Rundfahrt-Dampfer an.

Ach nee, wie einst fließt deine Spree dahin,

der Blick aufs Wasser zieht dich in den Bann.

Du gehst dann doch, du kennst ja dein Berlin.

 

Du streichelst Marx, gibst Engels einen Klaps

aufs blanke Hinterteil, es wird gegrient.

„Heil Hitler!“ brüllt da irgendwo ein Flaps.

Bist irritiert und irgendwie bedient.

 

Am Bahnhof Alex steigst du in die Bahn,

denkst dir dein Teil zum neuen Alt-Berlin.

Du kommst dir fast vor wie ein Veteran

und suchst und suchst nach der Geschichte Sinn.

 

16.11.13

 

Im Treibsand

 

Morgens,

mit grau gewelkter Schläfe, lärmte

die Stadt. Einer ging ruhelos, er hatte

sich selbst verloren.

 

Die Knöchel wundgeschlagen

an Türen der Hoffnung. Seele und Feuer

erloschen, kraftlos die Hände,

der Mann im Treibsand des Tages,

sein Schattenblick.

 

Die Stadt tobte. Abends

warf sie den Kopf, schüttelte

ihr öliges Haar aus dem Pockengesicht.

Und hinter Neonlächeln, schmerzlichem

Glanz, in tiefster Schwärze, hockte

des Mannes Nacht.

 

16.1.14

 

Wachgesicht

 

Wenn diese Welt nach Atem schöpft,

ihr Tagesrhythmus langsam weicht,

wenn alle Fenster zugeknöpft,

dann liegt die Stadt wie ausgebleicht.

 

Die Zeit der blauen Tauben kommt,

zählt dir Minuten in das Haar,

wie es den stillen Stunden frommt:

vergangen, nicht mehr einlösbar.

 

Das Dunkel spricht mit aller Macht,

dem Lichterrausch entsagt die Stadt.

Und du liegst schweigend in der Nacht,

ein Wachgesicht, das Träume hat.

 

27.10.13

 

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Im Kiez

 

Die alte Straße liegt, als ob sie träume,

und das seit hundert Jahren oder länger,

hoch in den Himmel wachsen keine Bäume,

hier schnallt man Gürtel wohl auch etwas enger.

 

Hier stehen Stubensessel vor den Türen,

der Kleine-Leute-Mief hängt in der Straße,

hier laufen Katzen übern Damm zum Spaße,

und Väter sieht man Kinderwagen führen.

 

Hier grinsen Griechengötter von Fassaden,

Dekor aus glorreich-kaiserlichen Zeiten.

Geschäfte, klein, zu beiden Straßenseiten

und hin und wieder insolvent ein Laden.

 

Hier sterben alte Menschen weg wie Fliegen,

es ist ein Viertel jetzt der jungen Leute,

des Abenteuers hoffnungsvolle Beute

und jener, die schon lange ausgestiegen.

 

Hier ist es still, man hört die eignen Schritte,

sehr fern braust Stadtverkehr durch die Allee.

Im Frühherbstsonnenschein liegt das Karree,

als ob’s den Himmel um Erbarmen bitte.

 

22.10.13

 

Sinnieren

 

In diesem Jahr kam der Oktober früh

mit seinen kühlen Nächten, bunten Bäumen.

Du sitzt am Fenster nach des Tages Müh,

beginnst ein wenig vor dich hinzuträumen.

 

Die Straße kümmert menschenleer dahin,

der Blick hinaus zeigt weiße Häuserfronten,

und tausend Scheiben blitzen kristallin,

die sich im Mittagslicht für Stunden sonnten.

 

Du siehst, der Tag steht still zu dieser Stunde.

Vorm Haus der Ahorn flammt in mattem Rot,

ein Blechgefährt zieht rußend seine Runde.

Du sinnst, auch dieser Tag stirbt seinen Tod.

 

6.10.13

 

Ladenschluss

 

Heupferdchenzeit, blaue Zeit,

als die Linden, die schönen Linden, sich bogen

unter der Last der Düfte. Als der

weiße Mond Honig trank.

 

Die Stadt lebte ihren Tag, mit

grauer Stirn, ein Ach in den Hallen

der Bahnhöfe. Und kein Himmel sank

auf die Nächte. Nur in den Kellern

die Zikaden schrien Lieder

der Liebe.

 

25.9.13

 

Stadtmorgen

 

Der kleine trübe Blick, ein Halbmoment,

hinaus ins Freie fällt auf Waschbeton.

Erneut das Herzensleer. Wie’s brennt,

Besitz ergreift vom Leib. Und ohne Ton,

 

ein Seufzer nur, so kurz wie Käferleben,

gehst du zurück ins Zimmer. Eisverhangen

diese Sorgenwelt, ein feines Schweben,

so lüfteleicht, du fühlst dich eingefangen.

 

Und in die Dächerstadt dringt ein der Morgen.

Verdammt bist du zu diesem grauen Ort.

Der Schnecke gleich bist du im Haus geborgen,

es trotzt in dir ein rüdes Abschiedswort.

 

Erinnerst dich: Als sie die Katzen fingen.

Der Nachtschweiß sitzt wie tot in deinen Häuten.

Du ahnst, der Tag wird wenig Gutes bringen.

Und irgendwo, sehr fern, hörst du es läuten.

 

18.9.13

 

Dampferfahrt

 

Du denkst an nichts, siehst bloß den Müggelsee.

Der Äppelkahn zieht tuckernd seine Bahn.

Versonnen schlürfst du deinen Milchkaffee,

bist nicht ganz hier zur Zeit und momentan.

 

Der See liegt platt wie früh dein Spiegelei.

Die Müggelberge dräuen schwarz da drüben.

Mit halbem Ohr lauschst du der Plauderei

der beiden vorn, die deine Stille trüben.

 

Du könntest, denkst du, ewig hier so treiben.

Die ferne Welt Berlins erscheint dir leer.

Du sinnst bei dir: Das müsste man beschreiben -

der Mensch denkt doch sogleich ans Hinterher.

 

27.5.13

 

Großstadt

 

Gesichtslos treibt die Stadt in ihren Morgen,

ein Wolkensturz drückt auf das müde Grau.

Vor Ampeln probt man ersten Blechkotau.

Wer schläft, muss erst den Traum entsorgen.

 

Befeuert tritt die Stadt in die Pedalen,

es kreischt, es dröhnt, es rattert und es stöhnt –

man hat sich hier mit allem ausgesöhnt,

muss man am Ende auch dafür bezahlen.

 

Und wie von bittrer Wut und Trotz beseelt,

ergibt die Metropole sich der Nacht –

erschöpft, ein wunder Heros nach der Schlacht,

von dessen Ruhm Legenden man erzählt.

 

19.8.13