Sozusagen Hamlets Geist
Was Bittres spürst du heut in deinem Mund.
Du schluckst. Das Bittere will nicht vergehen.
Wie Trauer ist es plötzlich, ohne Grund -
es scheint, dass alle Sorgen Schlange stehen.
Du suchst und ahnst es nicht, worum es geht,
und spürst die wohlbekannte Seelenleere.
Da kreist doch was in dir – wie ein Komet,
wie wenn dein Körper nicht mehr deiner wäre.
Weißt nicht, was vorgeht heute da in dir.
Sagst dir beherzt, das kann schon mal passieren.
Du raffst dich auf zu alter Lebensgier -
man muss sich mit dem Teufel arrangieren.
Und doch, der kleine Rest von Bitterkeit.
Du ahnst, der bleibt: Dein Dasein gibt Bescheid.
3.2.17
Der Realist
Es klagt der brave Mann voll Zorn und Frust:
„Das ganze Leben ist ein Kompromiss!“
Das wurde kürzlich ihm sehr klar bewusst,
sein Schicksal nennt er nur noch Nemesis.
Drum setzt er seinen Fuß nur Schritt für Schritt:
Wer übertreibt, der ist ganz übel dran.
Mit jugendlichem Eifer ist er quitt,
er ist jetzt wer, jetzt ist er stark: ein Mann.
Verantwortung! Das ist sein Zauberwort,
und voll Elan trägt er sie Tag und Nacht.
Er hat sich, wie man sagt, in sie verbohrt,
für sie wirft er sich mutig in die Schlacht.
Die Mitte ist sein angestammter Platz.
Denn was er braucht, ist nun mal Sicherheit.
Was rechts und links, das übergeht er stracks,
er steht für strenge Ausgewogenheit.
Gerecht teilt er die Welt in Bös und Gut,
wie einst zu ihm der Lehrer Hempel sprach.
Was er am meisten hasst, das ist die Brut,
die nichts als Chaos schafft und Krach.
Als Realist sieht er die Welt real.
Wer spinnt, der ist ihm äußerst obsolet,
und er verabscheut jede Art Skandal.
Man sieht, der gute Mann hat Qualität.
10.6.17
Beim Herzspezialisten
Das Wartezimmer ist heut reichlich voll.
Man sitzt wie stumm, kein Mensch blickt einen an
und wartet nur, man ist ja noch nicht dran -
mit Blick ins Leere, dir scheint’s, sorgenvoll.
Ein Platz ist frei, du setzt dich höflich hin.
Der neben dir, der ist ein dicker Mann.
Dann sitzt du da und lächelst den Herrn an.
Der grinst, ein bisschen wie von obenhin.
Dich überkommt so was wie leichter Schlaf,
du schließt die Augen, träumst dir irgendwas.
Ein kleiner Traum aus Watte oder Glas.
Dann wachst du auf und wartest weiter brav.
Es ist das Herz, du greifst dir an die Brust.
Mal macht es leise Tick, dann stärker Tack.
Schon fühlst du ernstlich dich als halbes Wrack.
Du bist dem Tod geweiht, wird dir bewusst.
Du ärgerst dich, dass man hier warten muss!
Das könnte doch ein bisschen schneller gehn!
Nicht mal die Krankenschwester ist zu sehn!
Und du beschließt: Mit Warten ist jetzt Schluss!
Doch plötzlich tönt es krächzend von der Wand:
„Herr Groß, Raum drei!“ Herr Groß steht auf und geht.
Du siehst zur Uhr: Ist ja schon ziemlich spät!
Greifst dann nach einer Zeitschrift kurzerhand.
Und nach zwei Stunden bist du endlich dran.
Der Arzt blickt ernst: Gott, alles halb so schlimm.
Du atmest auf, vergisst schnell deinen Grimm,
denkst dir: Ein ausgesprochen netter Mann.
31.1.17
Da war doch was
Als Lebensphilosoph muss ernst man bleiben,
wer lacht, verirrt sich bloß in Seichtigkeiten.
Wir haben nämlich allerernste Zeiten
und keine Zeit, sie unernst zu vertreiben.
Doch neulich, vor dem Badezimmerspiegel,
da trieb dich was, dich selbst mal anzulachen.
Und du erschrakst: Was sind das nur für Sachen?
Und schobst sogleich davor den ernsten Riegel.
Und doch - bist du zur Freude nicht geboren?
Dann prüfst du deine hart erworbnen Falten,
denkst ans Büro, die bitteren Gestalten -
wenn einer lacht, dann ist er schon verloren.
29.1.17
Apropos, Harmonie
Man müsste, dacht ich manchmal so bei mir,
ein kleines feines Gartenglück besitzen,
Radieschen ziehen, rote Äpfel im Spalier,
des Abends Sterne zählen, die dann blitzen.
Das wäre schön. Die reinste Harmonie.
So gerne würde ich den Amseln lauschen,
zu Mittag gäb‘s Spinat mit Sellerie,
ansonsten rundherum bloß Bäumerauschen.
Mein stiller Traum. Das blieb er leider auch.
Ach, meine Zeit ist gartenlos vergangen,
von dem Radieschenbeet nicht mal ein Hauch –
tja, dieser Traum war wohl ein Unterfangen.
So ist der Mensch. Nicht alles macht er wahr.
Er träumt zuweilen, schmiedet große Pläne.
Erwacht, hält er sie dann für sonderbar
und schickt sie seufzend in die Quarantäne.
26.1.17
Vorm Pflegeheim
Der Tag novembergrau. Und grau das Haar
der Frau im Rollstuhl vor dem Pflegeheim.
Sie raucht. Und macht vielleicht sich einen Reim
auf all die Menschen hier auf dem Boulevard.
Mir scheint, besonders alt ist sie noch nicht.
Ein kleiner Seitenblick: Ihr fehlt ein Bein.
Die Ärmste, denke ich. Ach, Schwesterlein.
Wie traurig so ein Leben voll Verzicht.
Es kommen Leute, und sie gehn vorbei.
Sie lächelt, grüßt – doch keiner grüßt zurück.
Was können sie denn für ihr Missgeschick?
Den Leuten ist sie gänzlich einerlei.
Dann sieht sie mich. Sie lächelt wie im Glück.
Ich trete auf sie zu, reich ihr die Hand.
Sie lacht mich an - als seien wir bekannt.
Und rollt zufrieden in das Haus zurück.
22.1.17
Das lächelt sich doch weg
Im Bad der Spiegel sieht dich an.
Ist erst halb sechs, so früh am Morgen,
dass jeder Mensch bloß gähnen kann.
Und was du siehst, verkündet Sorgen.
Dein ganzes Elend über dich,
du fühlst sowas wie innre Leere.
Probierst ein Lächeln für dein Ich,
als ob dir nur nach Frohsinn wäre.
Der Spiegel riecht sogleich Betrug,
wie Tränen siehst du Tropfen rinnen.
Wirst wieder ernst: Nun ist’s genug.
Der falsche Frohsinn flieht von hinnen.
Und in der Hand der Türe Knauf,
ein kleines Lächeln vor dem Gehen.
Du setzt die Alltagslarve auf:
Dir geht es gut. Kann jeder sehen.
3.1.17
Frau mit Spiegel
Schon Licht im Zimmer, und die Frau erwacht.
Sie fühlt sich nicht. Und eilt sogleich ins Bad.
Was hat bloß dieser Traum mit ihr gemacht -
dass man sogar im Schlaf noch Ärger hat!
Sie hat geträumt, sie sei jetzt alt und grau,
mit Buckel, und kein Mann sieht sie mehr an.
Noch ist sie ja, das weiß sie sehr genau,
nicht alt, und sie gefällt noch jedem Mann!
Im Spiegel prüft sie das Gesicht, die Haut.
Besichtigt sich dann mal von Kopf bis Zeh.
Vielleicht die Hände? Gleich mal angeschaut!
Die Nagelfarbe stimmt, die ist okay.
Und vor zwei Wochen war sie beim Friseur.
Sie greift sich in das Haar: Sitzt doch ganz gut!
Und noch nicht grau - das wäre ein Malheur!
In Ordnung, sagt sie sich dann resolut.
Und die Figur? Doch immer noch perfekt!
Wenn sie da an die andern Frauen denkt –
da ist doch so ein Mann gleich abgeschreckt!
Als hätte Gott ihr die Figur geschenkt!
O ja, sie ist noch schön wie – wie hieß die gleich?
Dass sie den Namen auch vergessen muss,
na, die im Fernsehn neulich, superreich …
Sie seufzt. Gibt dann dem Spiegel einen Kuss.
12.1.17
Frauenperspektive
Ja, ich bin Frau, ich weiß es zu genau.
Aus mir ist leider Gotts kein Mann geworden,
man sieht’s an meinem ganzen Körperbau.
Ich will bestimmt dafür auch keinen Orden.
Ganz fein und still, das soll ich ständig sein,
und manch Verehrer hat mich schon bedichtet.
Wofür, das weiß der liebe Gott allein,
der diese Männerwelt gewiss mal richtet.
Von mir kommt nie ein böses Widerwort,
ich schweige still, steh täglich bloß im Schatten.
Versteh ich ja, es wäre doch ein Tort,
hielt ich mich klug nicht raus aus den Debatten.
Ich weiß, was für die Dame sich gehört.
Doch wünsch ich mir den Mann als Kameraden,
den es auf keinen Fall zutiefst verstört,
dass ich nicht leben will von seinen Gnaden.
Ach ja. Viel wurde schon für mich getan.
Doch ist das alles? Darf man doch mal fragen.
Ich zieh den Männern ihren Weisheitszahn
mit Freuden, Weibsgeschick und mit Behagen.
Auf dass der Männerwelt ein Licht aufgeht,
dass ohne Frau sie niemals existierte
(schon möglich, dass es eines Tags zu spät):
Die Eva war’s, die Adam einst verführte.
7.1.17
Bessere Gesellschaft
Wenn Herren ihre großen Reden schwingen,
steht du als seine Frau wie stumm daneben.
Und leise fühlst du in dir etwas klingen,
du denkst für dich: Ach Gott, so ist das Leben.
Hier bist du nur das fünfte Rad am Wagen,
bloß das Dekor der männlichen Kohorte.
Sie reden, und du hörst sie lauthals sagen
was von Rendite oder noch so Worte.
Mit diesem Mann, weißt du, bist du geschlagen.
Der kann sich nicht mal seinen Schlips selbst knoten!
War anders einst, in längst vergangnen Tagen -
jetzt lachen sie, jetzt sind sie bei den Zoten.
Als er noch sagte, dass er dich sehr liebe
(du strengst dich an, dir das heut vorzustellen),
dass er am liebsten Liebesbriefe schriebe,
da klang’s in dir wie Pauken und Tschinellen.
Wie lange ist das her - du musst mal zählen:
Das war vor vierundzwanzig Ehejahren.
Was trieb dich bloß, dir den mal zu erwählen?
Hach ja, da war er noch ein Mann mit Haaren.
Du hast studiert, und wollt er davon wissen?
Denn in der Firma hast du nichts zu sagen,
du warst sein angewärmtes Ruhekissen.
Als du es dann begriffst, was half dein Klagen.
Es ist zu Ende, und jetzt wolln sie gehen.
Du hasst es, wenn sie dir „das Händchen“ küssen:
Theater! Alles! Davon abgesehen.
Für die bist du bloß Weib, der Leckerbissen.
13.1.17
Selbsthilfe zuerst
Der alte Mann liegt mitten auf dem Weg.
Wie’s aussieht, gut rasiert und situiert.
Was ist dem armen Kerl denn bloß passiert?
Und hat der denn dafür ein Privileg?
Wie peinlich, geht es dir durchs Hinterhirn.
Das tut man einfach nicht. Was denkt der sich?
O Gott, das ist ja fast schon unmenschlich!
Liegt hier herum in seinem feinen Zwirn.
Wenn man schon mal die Erste Hilfe braucht!
Vom Rettungswagen weithin nichts zu sehn.
Wär wohl das Beste jetzt, man würde gehn,
man fühlt sich von dem Anblick bloß geschlaucht.
Blickst noch mal hin und überlegst dann kurz:
Kein Blut. Ein Unfall kommt nicht in Betracht.
Der liegt in tiefem Schlaf! Bis der erwacht!
Entscheidest dich: Tangiert dich keinen Furz.
Ein kurzes Weilchen stehst du noch herum
und tust dann das, was hier noch jeder macht.
Was soll’s, wen kümmert denn die Niedertracht:
Steigst drüberweg, siehst dich nicht einmal um.
2.1.17
Traurigkeit, die man jetzt kennt
Ein stilles Haus, die Nachbarn hört man nicht.
Nur auf der Treppe sagt man guten Tag.
Ist ja doch bloß das bisschen Nachbarspflicht.
Gott weiß, denkt man, ob der mich mag.
Ich wohn mit lauter Alten hier im Haus.
Man geht auf Zehenspitzen Tag und Nacht,
und früh gehn hier die Lichter abends aus.
Wer lange fernsieht, kommt schnell in Verdacht.
Die neue Fremdheit, sie beherrscht das Haus.
Heut ist man Individuum zu zweit.
Gemeinschaft, die ist out, sie ist ein Graus.
Man lebt jetzt mehr die feine Einsamkeit.
Die Zeit verging, nun sind die Kinder groß,
wir Alten blieben ganz allein zurück.
Ach, manchmal fühl ich mich wie heimatlos.
So geht’s – von Lichtenberg bis Köpenick.
6.1.17
Ein sehr alter Mann erzählt
Du fragst, wie es mir geht, so ganz alleine?
Ach, irgendwie kommt man doch immer hin.
Die Zeit, sie führt mich an der kurzen Leine,
am Ende bleibt sie die Gewinnerin.
Ich fühl, mir kam da irgendwas abhanden,
vielleicht der Gleichmut oder was weiß ich,
weil schon so viele Freunde still verschwanden.
Und jetzt allein – nicht angenehm für mich.
Stupide Tage voller Langeweile,
ich denk an dies und das. Und überhaupt,
an manchen Tagen lauf ich eine Meile,
sobald der alte Körper es erlaubt.
Als Fremder gehe ich durch meine Straßen,
und was da lebt, ist nicht mehr meine Welt.
Die Häuser, die mich lange schon vergaßen,
was hat die Zeit mit ihnen angestellt?
Zu Hause endlich, schließe ich die Türen,
will nichts mehr sehen, keinen Laut mehr hören,
die Gegenwart kann mich nicht mehr berühren,
sie würde meine leise Welt bloß stören.
So lebt sich’s hin, ich zähl zum Überreste,
der kranke Baum, der‘s nicht mehr lange macht.
Ein letzter Schlaf, ach ja, der wär das beste.
Dann liege ich und warte auf die Nacht.
Den Frühling möchte ich noch mal erleben,
die Welt wie neu, wenn alles blüht und grünt,
ein Restchen Leben wäre mir gegeben.
Wer weiß? Ich denk, ich habe es verdient.
2.12.16
Heimwärts
Welt ist die Straße nun,
mit der ich vertraut bin, als sei sie
mir angewachsen an den Leib, und doch
immer wieder die Fremdheit in mir
bei so viel Normalität.
Jetzt hat der Winter
begonnen, ungeduldig hoffe ich schon
auf sein Ende, das erneut
dem Auge die Farben der Erde
zu trinken gibt.
Ich denke an die Wenigen,
die mir geblieben, und an die Toten,
die gingen ohne Nachricht,
deren Werke den letzten Handgriff
noch bezeugen.
Was bleibt, ist Erinnern,
ist Ahnung von dem, was kommt,
wenn ich unter der Januarsonne dahinschreite,
als zöge es mich durch ein Zeitentor
ins Ungewiss.
1.1.16
Man kennt das ja
Wer kennt nicht diese dummen blassen Tage,
wenn gar nichts klappen will und nichts passiert,
ach, solche Tage sind die reinste Plage.
Als ob das Leben stänkert und stagniert.
Wie blind läufst du durch alle deine Zimmer,
vergisst, was du vergessen hast und suchst,
hast keine Ahnung, nicht den kleinsten Schimmer,
stehst wie dein eignes Denkmal da und fluchst.
Und in der Küche kocht der Kaffee über,
auch Technik ist nicht mehr, was sie mal war.
und deine Stimmung wird jetzt immer trüber,
nichts passt, die Welt wird unberechenbar.
Du fühlst so was von ungenauer Trauer,
dein Dasein trägst du mit verkniffnem Mund,
verschanzt dich hinter deiner innern Mauer,
die Seele fragt verzweifelt nach dem Grund.
Dir kommt der ganze schöne Tag abhanden,
durch den machst du mal einen dicken Strich.
Erst wenn er abends glücklich überstanden,
dann wirst du Mensch, vorbei der Tatterich.
21.8.15
Schlaflos
Nachts, wenn die Straße daliegt,
als sei aller Tageslärm für immer vergessen,
nachts, wenn die Konturen der Häuser
im Dämmer vergrauen, nachts stehst du
müde am offenen Fenster.
Du siehst den vom Haus gegenüber,
genau wie du steht er im Dunkel und
hofft wie du, und du grübelst, warum denn der,
kannst dir rein gar nichts erklären, nur -
irgendwas müsste passieren.
So schweigsam die Nacht,
dir ist, als müsstest du alles herausschreien,
das, wovon niemand spricht, du spürst
wieder diesen Drang in die Fremde,
irgendwohin.
Und dann weißt du nicht weiter,
du denkst an morgen, und die Nacht
noch so lang, eine Straßenbahn grollt vorbei,
und dann schlurfst du zu Bett, wirfst dich
aufs Laken. Komm, Schlaf.
8.8.15
Das, was ist
Verirrt in die Straßen der Kindheit,
stand ich vor den bekannten Häusern;
noch immer üppiges Grün, Duft von
Rosen wie damals, als unser Leben
einzig ein Traum war.
Die Hausnummern sprachen
von uns Kindern, der und die wohnten
dort und dort, noch einmal die Rufe
der Mütter, noch einmal die Gerüche
der Hauseingänge.
Ein Sandsturm die neue Zeit,
verwehte die Burgen der Kindheit,
gläsern ragte ein Haus in die Straße,
mit schreiendem Namen, ich wollte
ihn mir nicht merken.
Still war es, nirgendwo
spielende Kinder, die Straße nun halb
in der Sonne, mitten durch
die Menschenleere ging ich, gepeinigt
vom Lärm meiner Schritte.
Zuletzt noch einmal die Rosen
vorm Haus, suchend ein Blick hinauf
zu den Fenstern, zu fremden Gardinen,
und mir war, als geriete ein wenig
das Herz aus dem Takt.
26.5.15
Die Mutter
Ich kam aus ihr, ungelegen,
die geerbten Gesten verraten mich,
was ich meinen Verstand nenne,
das halbe Glück im Unglück.
Woher der Gedanke an sie,
so anlasslos, fern vom Grab.
Ich höre ihre Stimme noch,
sehe sie sitzen, breit, mich musternd
mit schwachen Augen, als käme ich
fremd in ihre Welt, als stelle
sie mir ungern die Frage
nach dem Woher.
Ohne Zutun die Zeit vergangen,
versteint die Lust an Welt, an Leben,
ich sah die tauben alten Hände.
Wortlos ging sie, wie selbstverständlich,
es gehörte sich so, ein Seufzer.
Da war nichts mehr offen.
21.1.15
Verbesserungsvorschlag
Neulich der alte Mann,
er kam mir entgegen mit seinem
Einkaufswagen, ich lächelte ihm zu
und wich aus, zu schmal
der Weg für uns beide
Der Schmerz im Kreuz,
die Beine wollen nicht recht,
aber die Elstern, brummelte er,
die haben es gut, der Mensch
müsste Flügel haben
Bedächtig, Meter für Meter,
zog er seinen Wagen über den
Bürgersteig, der kluge Alte;
ach ja, dachte ich, der Mensch
müsste Flügel haben
21.5.15
Tiefdruckgebiete
Die durch mein Leben gingen,
durch die Tage des Mai, durch die
strengen Winter, die mir die Würde gaben,
mich und die Welt zu begreifen, wie
sollte ich sie nicht missen?
Gegenwärtig sind jene nun,
die an mir vorbeiziehen, beiläufige
Passanten, die Straßen queren,
mich anrempeln, mir vielfache
Genügsamkeit beibringen
Leben müssen
ohne die hohen Tage der Himmel,
ohne Liebe, mit wachem Schmerz,
verloschenen Stimmen -
leben, aber wie
16.5.15
Fotoschau
Auf den Fotos haben wir
unser Selbst noch nicht gefunden,
unsere kindlichen Gestalten
rühren uns an, kaum können
wir glauben, dass wir das
einst waren
Viel zu schnell die Zeiten
vergangen, verformt hat uns
das Leben, der Spiegel offenbart uns
verschwiegene Wahrheiten,
von denen die glatten Fotogesichter
noch nichts ahnen konnten
Wer wusste schon,
was auf uns zukommen würde,
welche Verwerfungen auf uns warten,
aber die Zeichen der Jahre
machen uns kenntlich als die,
die wir nie sein wollten
14.5.15
Die ihre Liebe lassen
Die Lichter verströmen
ins Dunkel, den Schatten gleich,
die über die Ebenen fliehen,
und die Menschen der Erde
abgewandt
Die gestoßen ins Abseits
der Welt, die ihre Liebe lassen,
blind alle Schmerzen ertragen,
die kein Balsam lindert
und kein Traum
Stimmen in den Lüften,
die Frage, wie werden wir sein,
wenn Schnee nur und Eis die
Nächte erhellen, die roten
Rosen erfrieren
12.5.15
Bilanz
Heller ein wenig die Welt,
in der du lebst, Licht auskömmlich,
dein Refugium, das den
kleinen Freiheiten Atem lässt
vor dem Ersticken
Wenige, die dir geblieben,
hiernieden kein Sang noch und
die Botschaften der Sprache
erhellen nichts mehr, die Gruben
sind ausgehoben
Was bleibt, ist ein Ahnen
von seltenem Glück, irgendwann
in den Seiten der Bücher, den
ungeschriebenen Versen der Dichter,
die nach uns kommen
4.5.15
All diese Mitten
Nicht die Stunde,
den neuen Tag anzurufen,
dunkle Abende wehen
ins späte Land
Uns führt es durch
irreale Träume, wir sehnen
uns nicht, Leben als
randloser Zustand
Entleihen uns
Silhouetten des Schmerzes
für laue Tage, warten
auf Tröstungen
Von Ängsten die
die Seelen erfüllt, übervoll,
eingezäunt ins Ahnen,
und nichts, das sich rührt
29.4.15
Generationen
Beschreiben kannst du
die Sehnsucht nicht nach der Weite,
den endlosen Himmeln, nicht,
was dich durchs Dasein treibt.
Die Vorväter hängen an den
Wänden, leben in deinen Adern,
zufällig haben sie dich in die Welt
gesetzt, du hattest keine Wahl.
Du duckst dich, wo du schreien
müsstest, du schuftest für die,
die dich um dein Leben betrügen,
bist der gelehrige Muschkote.
Wenn sie dich in ihre Kriege
schicken, schießt du auf ihre Feinde,
die nie deine waren, du schießt
und verreckst auf Befehl.
Du, Ebenbild eines Ebenbildes,
Spiegel ihrer Verzweiflungen,
hast die Sehnsucht vergessen,
wer du sein könntest.
16.4.15
Leben halb
Nein, kein Wort gibt Schutz
vor den Ungeheuerlichkeiten
der Zeiten, in die wir bedenkenlos
hineingeboren, und kein
tröstender Satz
Die Haut nimmt die
Kälte nicht auf, die Schreie
erreichen die Ohren nicht mehr,
taub leben wir die Tage, verlassen
hat uns die Trauer
Vorüber an uns zieht
das Leben, kaum lesen wir seine
Spuren noch in den Gedächtnissen,
wir reißen unsere Narben auf,
dass sie bluten
Unempfindlich vegetieren wir
mit schwelenden Wunden, nur dann
und wann empören wir uns,
wenn ungefragt Spiegel aufblitzen
und wir uns erkennen
5.4.15
Der über die Flüsse läuft
Es schreit,
es schreit in dir, ein unerklärbarer
Schmerz, zu groß, bitter wie das Horn
eines Pferdes unterm Messer
des Schmieds
Bilder stürzen, allein mit dir,
deinen Träumen, der Stimme, die
dich treibt, fordernd, maßlos,
unzivilisiert, dein Freund,
dem du dich öffnest
Die Welt ein Spiegel
der Welt, du lachst, du hast sie
durchschaut, die gläserne Nacht
dein Tag, und der Mörder
Mond grinst
Du weißt, niemand weiß es,
allein du, der über die Flüsse läuft,
göttlich, und der Schmerz,
der unerklärbare, frisst an der
Seele, die sie dir rauben
1.4.15
Anderssehen
Noch ist der Frühling
nicht eingeblaut in die Tage
des Jahrs, in die Wiesen,
die Wälder, und
der Blick zum Himmel
zeigt nicht nur Wolken, dort
proben sie ihren Krieg, jagen
Furien über die Lande
Ja, der Frühling, sagst du,
er will wohl kommen,
sieh, die Knospen der
Kastanie platzen im Wind
Ich sehe dich, die Geste,
mit der du über den Tisch
langst, und sehe dich anders,
als wärst du schon tot
27.3.15
Kleines Hoch
Unversehens singt etwas
in uns, kaum erklärbar, die Tage
halten nicht an, nichts im
Ungewissen, alles, alles
ans Ende gebracht
Unversehens der Blick
durch Blumengärten in fremde
Gesichter, Leichtigkeit
in uns, die Zäune abgerissen,
die Pfosten zerbrochen
Unversehens geben wir
den Wörtern die Farben wieder,
scherzen mit dem Schmerz,
die Welt ein einziges
grünes Arkadien
16.3.15
Verweilen
Licht scheint dir
auf die Finger, und da ist
eine kleine Wärme, Rauch
steigt auf und nichts als
Stille, nur Stille
Und du denkst,
das Leben beinahe gelebt,
es gilt den letzten Rest,
den dir ein paar Sommer
versprechen
Du lauschst dem Wind,
dieser Welt nach der Norm,
in dir brennt etwas,
und du vergisst schon mal
den Tag und dich
11.3.15
Meinen Freunden
Erinnern der Liebe,
wir lebten inmitten grüner Städte,
bescheidener Kiefernwälder,
da waren viel Lichter, viel Hoffen,
auch der Tränen einige
Die Zeit geht den Wolken
nach, sie schläft in kalten Betten,
Winde vor verhängten Fenstern,
und ein Sturmvogel rüttelt
über dem Meer
8.3.15
Traumes Ikarus
Warum nicht leben
mit dem Traum vom Fliegen über
die Wolken, hin zu den Sternen,
in die Unendlichkeit
Träumer du, steigst auf,
alle Erdenschwere verwandelt in
Federflügel des Mythos; der Sturz
ins Meer keine Legende
Lichter der Nacht umarmen
deine Träumerseele, im Morgengrau
du ein nackter Gott, abgestürzt
ins unsäglich Wirkliche
7.3.15
Du, deine Träume
Nicht leicht, Mensch zu sein
unter Menschen, wenn du durch
wolkenschwere Tage gehst, dass dein
Herz den Boden schleift und da nur
ein Ahnen ist
Kaum kannst du hoffen, dass
Sommer deine Seele wärmen wird,
der Regen fällt in die Tage
des März, bleiben nur die Worte,
die Worte allein
4.3.15
Ausharren
Da ist nichts zu sagen, nichts
von Bedeutung, Tage und Nächte
wechseln sich ab, ungeliebt kommen sie,
ein leeres Blatt, gehen sie.
Dann liegst du und belauerst
in halbem Schlaf die Geräusche der
Stille, armer Sysiphos, der den
Fels vergeblich wälzt.
Unbemerkt treibt die Zeit
durch Nächte und Tage, und von
den vielen lustlosen Stunden nicht
eine des Aufhebens wert.
28.2.15
Dezembersonne
Dass Stille hörbar wird
und dein Schweigen mehr verrät, als du
wissen kannst, Ahnungen durch deine
Nächte kreisen und es ist wie
ein nie endender Hürdenlauf über
unendliche Meter Leben
Du machst dir ein Bild, und dein
eigenes Gesicht erkennst du nicht mehr
du hoffst, dass der Spiegel dich grundlos
belehrt; und wie blind trittst du
zurück in die Sonne, den Dezember
mit seinen langen Schatten
27.2.15
Wer weiß es denn
Es wird alles gut
wenn am Abend die Sonne
hinter Dächern versinkt, als ob sie
ins Nichts verginge, und dieses
Schweigen nur bleibt
wenn Dunkel sich auf uns legt
auf die Münder der alten Frauen, die
immer schon alles gewusst haben
und ein leises Pochen durch die
Herzen geht wie Ahnen
wenn die Erde in Schlaf fällt
Nebel durch die Straßen wehen und
Lautlosigkeit unsere Seelen betritt
dann mag es sein, es wird
noch alles gut
26.2.15
Erfahrungswert
Nun die Stunde, in der
du begreifen willst, dich selbst und
das nicht Sichtbare, was du dir
immer ersehnst, genannt
dein Traum von Welt
Was hinter dir liegt
die Enttäuschung, der Schmerz
des Verrats, die Leichtigkeit, mit der
wir uns selbst aufgeben, sobald
dunkle Zeichen aufziehen
Nichts zählt; und dann gehst du
vorüber an denen, die nichts mehr
erwarten, die nur auf die Münze
hoffen, die dann und wann
in den Blechtopf klirrt
24.2.15
Nach Jahren
Die Orte verlieren sich
im Gedächtnis, kein Ahnen, was dort
der Schmerz des Heute kostet
was auch wissen wir
Die Bilder verlieren
die Farben; wir leihen uns Leben
für Zeiten des Erinnerns
ehe die Winter dräuen
Wege, die wir gegangen
ich denke noch dran, unsichtbar
die Gesichter, könnte ich
Träume finden wie einst
Wo ich mich ins Glück
eingeschrieben, in die flüchtigen
Furchen der Wolken; nur
die Trauer, sie bleibt
20.2.15
Der du nichts vermagst
Blick in die Welt, du wirst sie
finden als eine, wie du sie dir nicht
wünschst, es sind die alten Gebrechen,
unheilbar erkrankt schleppt sie sich
durch die Zeiten
Nicht sicher das dir zugeteilte Glück,
das kleine private, du ruderst
und kommst nicht vom Fleck, du bleibst
auf der Stelle und weißt doch,
die Ruder sind zerbrochen
Noch einmal willst du glauben,
deine Welt, redest du dir ein, hat ewig
Bestand, die Mauern halten, es kann
gar nicht anders sein, und der Untergang
von Rom, das sind alte Geschichten
16.2.15
Seltene Einsicht
Stein die Zeit, kein Gedanke
an neues Leben, wir hatten das volle Maß;
was ungelebt blieb, ersetzen uns
Illusionen aus dem TV
Des Lebens Rand erreicht
schon in der Mitte der Jahre, wir atmen
ohne Begierde, viel Trümmer
ins Dasein gepoltert
Wohin mit den Narben,
mit verdrängten Träumen; wenn dann
der letzte Stein gefallen, woran
werden wir uns erinnern
15.2.15
Ins Nichts vergehen
Wir sind gut vernetzt, wer
vernetzt ist, wird wahrgenommen,
immer größer aber die Distanzen
von Mensch zu Mensch,
zu uns selbst
Alle Hemmungen sind
abgelegt, der andere der Feind,
den es zu besiegen gilt; Gesundheit
und Schönheit kaufen wir
im Supermarkt
Leben mit dem Verschweigen,
dem Missdeuten, dem Glücksersatz;
Geborgenheit nur auf Kredit,
verloren, wie wir sind, spüren wir
unsere Verluste nicht mehr
Wir schnappen nach Luft,
wir Fische im Netz; die vor uns
waren auf der Suche nach dem Glück
menschlichen Daseins und Friedens,
wie’s aussieht, vergebens
13.2.15
Schöne Aussicht
Unser Aufenthalt in der Zeit
ist vergänglich, die uns bemessenen
Tage schmelzen dahin wie Schnee
im Frühjahr, wenn der Planet Erde
der Sonne sein frierendes Antlitz
zuwendet und die Amseln
erste Gesänge probieren
Schwer zu begreifen;
unsere Einmaligkeit erhofft sich
Unsterblichkeit, unsere
Hinterlassenschaften beweisen
vielfaches Gegenteil, die Mauern
von Troja sind längst gestürzt, klaglos
wird auch Manhattan versinken
Was geboren, wird Rauch,
allmählich verglüht unter den
Sonnen, unsere Verse verstauben
im digitalen Archiv, die nach uns
kommen, belächeln uns; da ist
kaum Hoffen, unbekannt,
namenlos gehen wir
10.2.15
Vor den Wintern
Jahre blicken uns an
unser das fremde Gesicht im Spiegel
wir können es nicht verleugnen
allmählich begreifen wir uns, wir
ahnen, was sein wird
Zurück träumen wir uns
zurück in die Kindheit, als alles
rein war und alles leicht, und auch die
langen Sommer, alles war Glanz
alles war Spiel
Das schöne Damals
zerstoben wie der Traum am Morgen
Nun kommen die großen Winter
mit ihren Frösten, nicht vorstellbar,
dass wir gemeint
8.2.15
Kein Anfang noch Ende
Januar, und wir im
Dreitageschnee mit der schwarzen
Sonne auf Dächern, in Straßen
in den Gesichtern kein Leuchten
nicht bis ins Ungezählte
Wir bewegen uns, betreten
Räume unendlichen Maßes, wir
Unwissenden, die mit dem Weltall
spielen, und es schweigt, nur
die Planeten rotieren
Die wir nichts vermögen
wir sind nur Zeugen von Zeit
die dahingeht, in Nächten, an Tagen
sie geht in die Morgen ein
wir ersehnen uns Träume
Wieder der Januar, wieder ein
Jahr, wieder bloß Hoffen auf das
Ende von Kriegen, ins Weiße
des Januarschnees stürzen wir und
des ungeschriebenen Jahrs
7.2.15
So immer
Immer die Sommer
die großen Himmel, die einsamen
Regen des Nachmittags
Immer die Angst vor den
Morgen, die dich nicht verschonen,
ach, die Sorgen der Frühe
Immer die Verwüstungen
die falschen Worte, das Feuer, das Wasser,
die Luft und der Schlaf
Und immer die Trauer
schwarz wie die Nächte im Herbst, und
der Winter kommt bald
4.2.15
In gewissen Nächten
agieren die Toten,
du fasst das Dunkel mit Händen,
und du spürst dein Nichtsein
in solchen Nächten, etwas wie
Rausch, unverhofft,
drängt sich in die Gedanken
Nächte aus Bildern der Kindheit,
aus Fernsehmeldungen,
halbvergessenen Gesichtern
und Schmerz über Versäumtes
wollen nicht enden, du fragst
was weißt du von dir
24.1.15
Lob der Erfolglosigkeit
Wir, die Nachtwelt, die unwissend
Geborenen, die von Misshelligkeiten
Verschonten, wir sollten es besser haben,
wir lernten es nicht, werden es lernen
erst mit den Unglücken
Unser schwacher, gelähmter Leib
spielt mit den Süchten des Vergebens,
wir befinden uns bei bester Atemlosigkeit,
und ob wir schweigen oder reden, wir reden
von unseren Albträumen
20.1.15
Verse von Zeit
Nun, da die Menschheitsliebe verloren,
verlieren wir auch die Zeit, das Vermächtnis
zu kostbar, das die Mütter uns ließen
ihre und unsere Zeit
Sie flieht uns, sie hat keinen Anfang,
kein Ende, kennt nicht den Schmerz
des Vergehens, unser Verweilen ist kürzer
als der Gedanke an sie
Nie hatten wir Zeit, doch nun,
da die Verheißung des Lichts eine Schimäre,
nun, da wir uns seufzend selbst verlassen,
sind wir die Kinder der Zeit
17.1.15
Intermezzo
Nachts, wenn die Rosen blühen,
quälen den Schläfer die Schatten
des Tages, nachts ergibt sich
die Kreatur ihrer Wehrlosigkeit
Falter bevölkern den Traum,
der Mensch auf seiner Insel,
die nicht endenden Rätsel der Erde
erobern verschlossene Türen
Körperlos brechen sie ein
in den Schlaf des Menschen,
in die Träume von Schuldlosigkeit,
nachts, wenn die Rosen blühen
16.1.15
Nachtvisite
Nachts kommen die Toten
die lang Vergessenen, ihre jungen
Gesichter, das ernste Lächeln, mit dem
sie deinen Schlaf erobern
Was geschah, geschieht neu
auf wunderliche Weise, anders, als ins
Buch des Erinnerns eingeschrieben
du spürst ihren Hauch
Eintreten sie in die Lautlosigkeit
deines langsamen Sterbens, sie wissen:
auch du; du wirst ihnen gleichen
vielleicht schon am Morgen
15.1.15
Hilflos
Wir schwimmen durch Tränen, kein
Ende des Meers, schlecht schwimmt es sich
mit gefesselten Händen, und kein
Zauberspruch, der uns rettet
Kann sein, das Meer ist zu groß
unsere Blindheit schwärzt den Horizont
unsere Lippen bluten, wir haben uns
aufs Flüstern verständigt
Über den Köpfen der Vogel Albatros
er weist uns den Weg zu den Ufern, wir
scheuen sie, wissen nicht, welche
Gefahren dort lauern
Dies ist die Lage, wir schwimmen
durch Tränen, unsere Leiber beben, wir sind
in starker Hoffnung, irgendwo muss es
doch eine Sandbank geben
13.1.15
Zufällige Einsicht
Die Schaufensterscheibe lügt,
die Fremde bin nicht ich, die mich da
anblickt: die Brille, die Brauen,
die Stirn gefurcht, die Gestalt
breiter als damals
Offen das Verhüllte, das nie
Wahrgenommene, das meine Erde
betrat wie Feuer, wie Luft, ich habe
kein zweites Leben, vergaß,
dass der Leib dem Tode geweiht
Ich höre die Stimme der Jahre;
traurig gehe ich durch Straßen,
die mich vergessen werden, ich weiß,
die Spur meiner Schritte wäscht
der nächste Regen ab
10.1.15
Stundengedicht
Dies die seltene Stunde
des Verweilens. Glücklich vergräbst
du dich in durchsichtige Stille, verstrickst dich
in ein Gespräch mit dir selbst.
Du fühlst dich wohl in dem Kokon
aus Wunsch und Wirklichkeit,
du diktierst der Nachwelt dein Testament,
dir steht ein Urteil zu. Vom Leben
enthauptet, verliebt ins Erinnern, in Phantasmen,
erkennst du dich selber doch nie.
Und bleibt nur die Stunde.
20.12.14
Irgendwie menschlich
Wir reden viel zu viel, meist über gar nichts.
Da staut sich irgendwas, das muss jetzt raus!
Man reißt den Schnabel auf, hofft auf Applaus
von wegen seines innern Gleichgewichts.
Wir sind aufs viele Reden schwer erpicht,
begeistern uns wie wild an dem Erguss
und wissen selber doch, es ist bloß Stuss.
Egal, wir sind gemacht fürs Rampenlicht.
Es klingt so schön, wir hören selbst uns zu,
sind auch noch ausgesprochen sattelfest,
wenn schon der letzte Hörer uns verlässt.
Doch schweigen - nein, das ist für uns tabu.
29.8.14
Der kleine Überfluss
Als blasser Underdog hat man's nicht leicht.
Was Mitleid heißt, das hat die Welt vergessen
und meint, dem Kerl ist das doch angemessen.
Dir folgt das Pech, bist matt und ausgebleicht.
Ein Stückchen Glück, das hätte dir gereicht.
Du hast dir noch kein Bäuchlein angefressen,
liegt wohl auch kaum im eigenen Ermessen,
du bist auf Schmalhans' Küche doch geeicht.
Den kleinen Überfluss, für den man lebt,
auch wenn er ständig dir vor Augen schwebt,
den kannst du dir beileibe niemals leisten.
Du trägst dein Etikett wie angeklebt,
dein Leben lang hast du umsonst gestrebt.
Doch geht wie dir es nicht den allermeisten?
16.8.14
Die eine und die andre Hälfte
Man trägt zwei Seelen doch in seinem Leibe
und zerrt an seinem armen Herzen rum,
auf dass man menschlich in Balance bleibe,
im Grunde findet's man nicht gar so dumm.
Man zeigt ganz stolz die Schokoladenseite,
die Schattenseite zeigt man lieber nicht.
Das andre Ich treibt ständig in die Pleite,
es hat so was von leichtem Schwergewicht.
Halb ist man stiller Dulder und halb Drachen.
So macht man alles halb, was man doch liebt.
Und halb bedauert man, halb will man lachen -
dass es das Glück im Ganzen niemals gibt.
11.5.14
Familienalbum
Wie lebt man nur damit, wenn jene Zeit
nur Fotos übriglässt von einem Leben
und nichts sonst bleibt von der Vergangenheit?
Es muss doch da noch irgend etwas geben.
Da sitzt ein Nackedei auf seinem Topf:
Das liebe Ottchen mit nur einem Jahre.
Und man entsinnt sich an den Brabbelkopf:
Auch Onkel Otto hatte einmal Haare.
Man wälzt Familienalben, viel zu schwer,
und sucht nach ungewissen Ähnlichkeiten.
Begreift nicht gleich, zumeist erst hinterher:
Jaja, das waren damals ernste Zeiten.
Was bleibt, ist nur noch Foto-Silhouette.
Man schlägt das dicke Album seufzend zu.
Und sieht sich selbst als Glied nur in der Kette,
ein Stimmchen bloß fürs Lebensinterview.
6.7.14
Sinkender Horizont
Ohnmacht des späten Tags.
Hinter den Häusern, unterm sinkenden
Horizont, zersplittert das Licht.
Schatten lautloser Schritte.
Die Nacht stürzt, Erdenkühle in Armen,
auf des Molochs Dächer. Ich sah
einen blinden Mann, er trug eine tote Taube
in Händen voll Schmerz.
Fern, so fern die Stimmen der Sterne.
Schicksal kündend, nie frage ich sie nach
Kommendem. Immer die Klage,
immer das Salz der Ängste.
Ein Feuer schleudert Funken.
Dort verbrennen sie das ungelesene
Buch der Träume.
25.6.14
Betrogen
Vertraut wie die eigene Haut
ist uns der Gleichmut der Welt, Sichfügen
in die Unvermeidlichkeit scheint uns
der einzige Ausweg.
Unbemerkt stirbt uns das Leben, nicht
erinnern können wir uns ans Gestern. Nur dieses
Ungewisse, das wir nicht benennen wollen
und das wir, vielleicht, in unseren Träumen
zutreffend Lebensgier nennen.
Wir raffen, was vom Tische fällt.
In unserer Narrheit, die grenzenlos ist,
glauben wir uns beschenkt. Und wissen es doch:
Für uns, was übrigbleibt, wir gehören
zum Inventar.
17.6.14
Erkenntnis
Als die Tage auf Flügeln kamen,
wir nicht wussten, dass Leben das Leben
kosten kann, als wir dachten, für uns
gäbe es nie ein Ende – damals,
wie jung wir waren.
Wir lernten. Das andere Dasein brachte
uns einiges bei, doch mehr, als wir
lernen konnten, vergaßen wir. Die Bäume
wurden zu Schatten, geeignet,
den hohen Mut abzukühlen.
Unsere Hände sind leer. Wo der Himmel
aufhört, sprechen wir in nie gehörten Sprachen,
nicht kompatibel. Und selbst Kriege schrecken
uns nicht, wir setzen aufs Hoffen,
wir lassen beten.
29.5.14
Von kleinen und größeren Träumen
Ein Mensch mit Träumen hat es nicht so leicht.
Schwer sonnambul, ein seltnes Exemplar –
man kennt die Reden hier und da vielleicht.
Und meistens sind sie nicht mehr abwaschbar.
Der eine träumt vom kleinen Hauptgewinn,
der andere von einer lieben Kinderschar.
Das liegt dem Menschen in der Seele drin.
Er spricht nicht drüber: Keinen Kommentar!
Wenn einer gar noch größre Träume hat,
davon Reklame macht, laut davon spricht,
sich aufführt wie der neue Goliath –
sei sicher: Dessen Dach ist nicht ganz dicht.
Und doch: Was wär das Leben ohne Traum?
So einen, der das Kämpfen für ihn lohnt?
Man lebte halb nur, wie im Zwischenraum.
Mal ungeschminkt: Man lebte auf dem Mond.
23.5.14
Mittelmaß-Sonett
Die Vorsicht rät uns: Nur nichts übertreiben!
Viel schöner sei es doch, man ist bescheiden.
Man sollte jedes Übermaß vermeiden
und tunlichst auf dem kleinen Teppich bleiben.
Die Mitwelt wird uns tüchtig dafür loben,
auch sie verabscheut herzlich alles Große,
das irgendwo noch schläft im Erdenschoße.
Und ehrlich: Wer lebt gerne abgehoben?
Viel wärmer lebt es sich doch in der Herde,
beim trauten Blöken fühlt man sich zu Hause,
da ist man nur ein Schäflein unter Schafen.
Man spart sich jede menschliche Gebärde,
und fühlt sich schäflich wohl so als Banause,
man ist daheim, jetzt kann man ruhig schlafen.
6.4.14
Die Vorfahrin
Die alten Augen sehen nicht mehr gut,
das Buch, es liegt so schwer in ihrer Hand.
Sie liest mit einer stillen Wissensglut,
als wäre jedes Wort fest eingebrannt.
Wie dieses Lächeln das Gesicht verschönt,
darüber nicht der kleinste Schatten fällt.
Wohl niemals hat das Leben sie verwöhnt,
sie trug nicht leicht an ihrer Frauenwelt.
Ein altes Foto, das ich kürzlich fand,
das weder Namen noch den Ort verrät.
Ganz sicher ist die Frau mit mir verwandt,
mehr zu erfahren ist es jetzt zu spät.
Von ihr blieb nichts als das vergilbte Bild.
Gern wüsste ich, wer sie gewesen ist,
mein Suchen aber, das bleibt ungestillt.
Ein wenig, glaub ich, hätt ich sie vermisst.
15.3.14
Gefesselt
Man kann nicht immer, wie man wollen will,
mit tausend Stricken ist man festgebunden.
Du rüttelst dran, wirst aber mäuschenstill,
sofern du dich nur lang genug geschunden.
Zu fest die Stricke, sagst du dir sodann,
du siehst es ein und dämpfst die Aversionen.
Beileibe kommt man nicht dagegen an!
Denn das sind Träume nur, sind Illusionen.
Du labst am Scheine dich, an Freiheitsdüften.
Und wärest doch so gern von Fesseln frei,
dem stolzen Adler gleich, hoch in den Lüften,
doch ist das bestenfalls nur Träumerei.
20.2.14
Dem Zaghaften auf den Weg
Das Unsagbare sagen, nicht mehr schweigen,
du raffst dich auf, erhebst dich notgedrungen,
noch weißt du nicht, wohin sich Träume neigen,
du spürst es nur: Du hast dich durchgerungen.
Du siehst dich um, du siehst die Falschheit blühen
und stehst allein auf weiter Flur im Dunkeln,
mit stillem Zorn sahst du die Freunde fliehen,
die Dummen hörst du was von Freiheit munkeln.
Du spürst den Hass in jeder ihrer Taten,
begreifst, dass dumpfe Ohnmacht sie verbindet,
siehst sie durch Schlamm und Lügen waten -
doch dein der Stern, der wahre Freiheit kündet.
Folg deinem Stern und lass dich nicht beirren,
nicht leicht dein Weg, die Furcht ist stets zugegen.
Und wenn Geheul und Unrat dich umschwirren,
dann sage dir: Darum, deshalb, deswegen!
2.1.14
Seltsam, sagst du
Wie dünn der Schleier mancher Tage ist.
Nichts bleibt verborgen, alles drängt ans Licht.
Welch Klarheit zeigt des Diesseits Angesicht.
Du lachst: Und einst warst du der Fatalist!
Beglückt vom Seltsam dieser neuen Tage,
erwacht Begierde nach der ganzen Fülle.
Dein Irdischsein ist dir nicht bloße Hülle,
es neigt zum Leben sich die Seelenwaage.
Entdeckst, was Lieben dir noch bieten kann.
Wie brüderlich, ein wahrer Frühlingshauch,
erscheint der nächste Mitmensch dir jetzt auch.
Nun denn, das Glück treibt stetig dich voran.
17.12.12/2.5.14
Privat vor Staat
Als Angestellter denkt man auch privat.
Nur nebenbei, das wird ja nicht bezahlt,
da wird verdammt noch mal nicht rumgeaalt,
da bringt man was fürs Geld, ganz akkurat.
Er sitzt am Schreibtisch und hat viel zu tun.
Er ist ganz Ohr, in voller Wachsamkeit,
Papiere griffbereit, falls da wer reinschneit.
Er ist auf Draht, er ist kein dummes Huhn.
Ihm geht da einiges so durch den Kopf:
Nein, gestern abend hat er was verpennt.
Dass der sich auch noch Intelljenzler nennt!
Und am Jackett, da fehlte dem ein Knopf!
Was der schon tönte! Haut bloß auf den Putz!
Ein Wunder, was man so als Mensch erträgt.
Und doch, ein Abend, der ganz angeregt.
Obwohl – das stank ja schon vor Eigennutz.
Er sinnt, bis er erschrickt – die Tür geht auf.
Der Chef persönlich, scharf der Adlerblick.
Der Angestellte hat mal wieder Glück:
Privat vor Staat, das hat er schließlich drauf.
25.4.14
Die Fettnäpfchen des Lebens
Im Leben tritt der Mensch in manches rein,
den Rosenzüchter- und den Sportverein -
er will dabeisein, immer vorneweg,
er kümmert sich partout um jeden Dreck.
Und kein Verein, der ihm dafür zu klein.
Er weiß genau, was grad der Nachbar macht,
sei es bei Tage, sei es in der Nacht -
moralisch misst er jeden Hammerschlag,
nimmt seinerseits den Hammer in Beschlag.
Er schimpft von morgens früh bis spät um acht.
Wohin er sieht, der Ärger wartet schon,
begreift auf einen Blick die Kollision.
Kein Mensch ist gegen solches je gefeit,
den Humbug kennt er schon seit Kinderzeit.
Doch jetzt vergeht ihm jede Illusion.
Im Leben tritt der Mensch in manches rein,
den Rosenzüchter- und den Sportverein.
Ihm hat das Leben tüchtig mitgespielt -
verantwortlich, wie er sich nun mal fühlt.
Wie wahr, er tritt in jeden Fettnapf rein.
18.4.14
Verflogene Illusionen
Wir greifen nach den glitzerbunten Scherben,
die unsre eigne Blässe so schön färben.
Was wir genannt das Glück, das ist zerbrochen,
wir gieren nach den Resten, die noch blieben,
eh sie zu Staub und Pulver bloß zerstieben,
begnügen uns mit abgenagten Knochen.
Wir wissen doch: Was soll denn alles Klagen?
Es hilft doch nichts in diesen rauen Tagen.
Recht schnell wird unsereins doch recht bescheiden,
verzichtet schon mal auf den Stolz, zu leben.
Dem Anschein haben wir uns hingegeben
und uns gewöhnt ans Darben und ans Leiden.
Sehr spärlich, man erinnert sich mit Tränen,
geschieht's, dass wir Verlorenes erwähnen.
So manchem ist das nur ein Grund zum Grämen,
dem anderen auch mal ein Grund zum Lachen,
das kommt vom Große-Illusionen-Machen.
Wer wollte sich der bunten Scherben schämen.
26.3.14
Nach Mitternacht
Ganz anlasslos wird es auf einmal still,
die letzten Lichter zittern durch die Nacht.
Nur eine Bahn kreischt in der Kurve schrill.
Für heute hat der Tag nun Schluss gemacht.
Man gibt erschöpft sich hin dem Augenblick,
kein Hoffen auf den Tag, der folgen wird,
und ist da sicher: Der bringt nicht das Glück,
das einem öfter durch die Träume schwirrt.
Mit diesem Tage ist man endlich quitt.
Wie weltverlassen bellt ein armer Hund.
Wer Mensch geblieben, leidet mit ihm mit,
die eigne Seele ist ja selbst so wund.
Jetzt gehen Haus für Haus die Lichter aus.
Sehr einsam ist, wer noch voll Sorgen wacht.
Verstummt des Tages Lärmen und Gebraus.
Als könnte nichts passieren, schweigt die Nacht.
16.3.14
Wir Trümmerkinder
Ich denke mir, ich bin zu früh geboren.
Was wusste ich von dieser Welt, dem Kriege,
ich lag noch eingewindelt in der Wiege.
Die falsche Zeit, die ich mir auserkoren.
Man kann in seinem Leben viel vergessen,
die Bombennächte aber sind geblieben,
ins kindliche Gedächtnis eingeschrieben.
Was sonst geschah, das waren Petitessen.
Wir spielten unbeschwert in den Ruinen.
Es war die Welt, die uns der Krieg geboten,
die Welt der Häusertrümmer und der Toten.
Sie lachte nicht, sie schien uns anzugrienen.
Dass nicht vergessen wird, wie wir mal waren,
mit unserm Kohldampf, unsern Alltagssorgen,
der Unbekümmertheit, dem Gruß ans Morgen -
wir Trümmerkinder in den Nachkriegsjahren.
16.2.14
Sisyphos
Das schönste Wollen welkt doch mit der Zeit.
Du Träumer hast das viel zu oft erfahren:
Du denkst, jetzt endlich ist es mal soweit –
da kriegt die Wirklichkeit dich bei den Haaren.
Du ärgerst dich und fängst von vorne an.
Ach, sagst du dir, jetzt unbekannt verreisen!
Es hilft bloß nichts, du bleibst gehorsam dran,
du willst es dir (nur einmal noch!) beweisen.
Du gehst aufs neu ans Werk, voll Zuversicht,
probierst es jetzt mit einer Variante.
So bleibst du eingespannt in deine Pflicht,
und die Adresse bleibt die altbekannte.
Du stotterst nach und nach dein Pensum ab
und träumst von einer kleinen Dividende.
So geht es weiter bis ans kühle Grab:
Du siehst den Anfang nur und nie das Ende.
18.2.14
Das schlechte Gewissen
Was man vergessen will, vergisst man nicht.
Die Bilder steigen auf, sie kommen wieder,
ein Frösteln läuft dir über deine Glieder.
Was war, bekommt nun wieder ein Gesicht.
Du ringst erbittert um dein Gleichgewicht,
der Boden schwankt, du selbst bist dir zuwider.
Der Mut, den du mal hattest, liegt danieder,
verkrampft beschwichtigst du die Innensicht.
Das ist ein Kampf nur mit der eignen Seele,
du bist dir dessen plötzlich sehr bewusst:
Die Bilder sind gestorben, bloße Schemen.
Und kennst du nicht so manche Parallele?
Die Not befahl's, man hat nun mal gemusst!
Und schnell bist du mit dir im Einvernehmen.
1.3.14
Mitte Vierzig
Was sich das Leben so mit dir erlaubt,
das weißt du um die Mitte Vierzig rum.
Die schönsten Träume hat es dir geraubt,
genannt des Menschen Daseinspraktikum.
Da sind die Kinder und der Mann perdü.
Ganz gut spürst du, was du zu schultern hast,
du rackerst ganztags und hast viel zu früh
die erste graue Strähne abgefasst.
Du weißt, du hattest eine Menge Glück:
ein fester Job und halbwegs gut entlohnt.
Die Jungen aber sind dein Meisterstück,
das hat sogar der Spartenchef betont.
Die Nachbarsblicke nimmst du gern in Kauf.
Du könntest eigentlich ganz glücklich sein,
dein Leben nimmt den eingespielten Lauf.
Bloß, im Moment fühlst du dich sehr allein.
In deinen Nächten ständig dieser Traum:
Da bist du Frau, da bist du, die du bist.
Am Tage, nein, da denkst du daran kaum.
Ist lange her, dass einer dich geküsst.
Für dich die schwarzen Tasten vom Klavier.
Mit Mitte Vierzig bist du dir schon klar:
Zwei Drittel Leben hast du hinter dir.
Und ja, es war vielleicht ganz annehmbar.
9.2.14
Treppentratsch
Des Menschen Leben wär ein Kinderspiel,
gäb es die Leute nicht mit ihrem Klatsch,
die wissen rein von allem viel zu viel.
Nun ja, davon die Hälfte ist bloß Quatsch.
Der soll ja bei den Anarchisten sein!
Und die hat krumme Beene, sieht man doch.
Und der Duweeßtschon ist ein dummes Schwein,
der pfeift jetzt bloß noch auf dem letzten Loch!
Halbierte man für sich den ganzen Klatsch,
dann wüsste man, der Kerl ist Bigamist,
die krummen Beene sind gequirlter Quatsch,
und der Duweeßtschon ist der Herr Flötist.
So renkt sich friedlich alles wieder ein.
Doch leider interessiert die andre Hälfte nicht,
gern fällt ein jeder auf den Schein herein.
Denn Tratschen ist die erste Bürgerpflicht.
4.2.14
Duzer und Siezer
Zu manchen Leuten sagt man lieber Sie.
Das Du bleibt guten Freunden vorbehalten,
von Anfang an stimmt da gleich die Chemie.
Das Sie gehört den höheren Gewalten.
Ich wünschte mir das Sie im Internet,
dann brauchte man wohl keine Netiquette.
Statt Säbel nähme man dann das Florett
und statt des Vorschlaghammers die Pinzette.
Wie höflich klingt auf Sie ein Nebensatz,
der, nicht ganz stubenrein, vielleicht gefallen.
Man ist fein raus, vermeidet so Rabatz,
mit Glück wird er wie ungesagt verhallen.
Es hat das Sie mich etwas auch gelehrt:
So bleibt man höflich doch in jeder Lage.
Denn auch ein Raubein fühlt sich "sehr geehrt",
hört's doch das Sie gewiss nicht alle Tage.
Selbstgespräch
Wie müd kann man vom Schauspiel Leben sein,
von dieser Herbstestrauer in den Gliedern.
Nein, nichts Konkretes, nur ganz allgemein,
würd ich, befragt, vielleicht genervt erwidern.
Probiert es nur, ihr kommt nicht aus der Haut,
die ihr am Leibe tragt seit Kindertagen.
Man ist sich selbst am besten doch vertraut,
ein Leben lang muss man sich damit plagen.
Was mir jetzt fehlt? Ein bisschen Sonnenschein.
Der kostet nichts, den kann man nicht bezahlen.
Jetzt, wo ich grüble, fällt mir plötzlich ein:
Man müsste sich die Sonne selber malen.
17.1.14
Nicht Fisch, nicht Fleisch
Es lebt sich besser, meinst du, nach der Norm?
Nach der geborgten Norm und nicht nach deiner?
Ach, und du wärest doch so gern konform?
Das steht dir nicht, mach dich nicht kleiner.
Wie traurig deine innre Lampe strahlt.
Nur ein Moment noch, und sie ist erloschen.
Das Stillehalten macht sich nicht bezahlt –
hm, ich weiß, klingt ein wenig abgedroschen.
Du meinst, du fingst dein Leben anders an,
gäb es die Chance nur für ein zweites Leben.
Dass man sich selber nie vergessen kann -
erst dann, wenn man den Löffel abgegeben.
6.2.14
Der Traum vom Geld
Die Post von heute, brrh! es ist zum Brechen:
Ihr Konto tief im Minus, schreibt die Bank.
Die halten nur die Hand auf: Bitte blechen!
Das macht auf Dauer doch den Menschen krank.
Das liebe Geld. Mehr musst du ja nicht sagen.
Ganz sonnenklar, wohin du blickst, es fehlt.
Mit Rührung sprichst du gern von jenen Tagen,
als du die Scheine bloß so hingezählt.
Ach ja, du müsstest mal ganz groß gewinnen.
Ein paar Millionen, dass es länger reicht.
Doch leider, es bleibt immer nur beim Spinnen,
schon jahrelang bist du darauf geeicht.
Verflixt, so kann es doch nicht weitergehen!
(Das mit dem Gashahn lässt du lieber sein).
Und du bedenkst, das kann ja jeder sehen:
Du bleibst auf ewig bloß das arme Schwein.
13.1.14
Mutanten
Wir haben doch nur diese eine Zeit,
dies Leben, ungewollt und unbekannt.
Und uns, den Kinder der Genügsamkeit,
hat sich das Stilleschweigen eingebrannt.
Das Leid der andern kann uns nicht berühren,
es reicht, was wir am eignen Leib verspüren.
Verblüht sind wir und waren niemals jung,
wir fragten niemals nach des Daseins Sinn.
Wir leben hin für uns ganz ohne Schwung,
das nackte Leben schon ist uns Gewinn.
Wir wissen es, dass sie uns massakrieren -
doch bleibt uns nur ein stilles Akzeptieren.
In dieser Welt des Schweigens und des Nichts,
wo jedes Widerwort als Aufruhr gilt,
zerrt man uns vor die Schranken des Gerichts,
bleibt jeder Traum von Freiheit ungestillt.
Wir schweigen, müssen uns darein bescheiden.
Sind wir geboren für den Tod, zum Leiden?
10.1.14
Das Napoleonische im Menschen
So als Genie hat man es immer leichter,
man ruft nicht: „Hier!“, ist einfach nur präsent.
Man steht dick da und gibt das Monument.
Bloß die Elogen werden immer seichter.
Der schlichte Mensch muss täglich racksen,
dass er vom Segen auch ein Häppchen kriegt.
Doch stets hat ihm sein Anteil nicht genügt,
von Geld und Ehre sieht er bloß die Haxen.
Schön wär es ja. Mal den Genieprotz spielen.
Auch wenn man’s gar nicht ist. Ist doch klar.
Man wäre einfach nicht mehr austauschbar
und dürfte sich wie Gott in Frankreich fühlen.
Wie man sich's schöner gar nicht träumen könnte.
Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schlapp.
Auch mit dem Geist wird es jetzt hierorts knapp.
Der ist in Deutschland lange schon in Rente.
22.6.13
Jesus, meine Höflichkeit
Wer einst die Höflichkeit erfunden hat,
war Jesus, steht doch in der Bibel drin:
„Haust du mir auf die Backe, halt ich glatt
dir auch noch gleich die andre Backe hin!“
Vergiss die Höflichkeit dabei nicht gleich,
sag: „Bitte sehr! Bediene dich, mein Bester!“
Verbuchst du als dein Plus fürs Himmelreich.
Der andre haut dann auch ein bisschen fester.
An diesem Beispiel kann man gut studieren,
wie vorteilhaft die Höflichkeit doch ist.
Wohl keiner braucht sich deshalb zu genieren.
Und notfalls wird er eben Masochist.
24.5.13
Dem Zaghaften auf den Weg
Das Unsagbare sagen, nicht mehr schweigen,
du raffst dich auf, erhebst dich notgedrungen,
noch weißt du nicht, wohin sich Träume neigen,
du spürst es nur: Du hast dich durchgerungen.
Du siehst dich um, du siehst die Falschheit blühen
und stehst allein auf weiter Flur im Dunkeln,
mit stillem Zorn sahst du die Freunde fliehen,
die Dummen hörst du was von Freiheit munkeln.
Du spürst den Hass in jeder ihrer Taten,
begreifst, dass dumpfe Ohnmacht sie verbindet,
siehst sie durch Schlamm und Lügen waten -
doch dein der Stern, der wahre Freiheit kündet.
So folge ihm und lass dich nicht beirren,
nicht leicht dein Weg, die Furcht ist stets zugegen.
Und wenn Geheul und Unrat dich umschwirren,
dann sage dir: Darum, deshalb, deswegen!
2.1.14
Ein seltener Abend
Vom Center flimmert das Reklamelicht,
die Straße kommt dir vor wie leergefegt,
nur irgendwo, dass eine Haustür schlägt.
Die Stille schiebt heut eine Sonderschicht.
Vom Nebenmieter hörst du nur Geraune,
sogar sein Hund hat heute Sendepause.
Bemerkenswert in diesem lauten Hause,
das hebt und steigert deine Abendlaune.
Du hörst der Stille zu und repetierst,
was dir am Tage auf die Leber drückte,
auch was dich ausnahmsweise mal beglückte.
Ein Spiel, das du gelassen absolvierst.
Du denkst, wie still der Abend heute ist.
Du traust dem Frieden nur, solang er währt,
und sehnlich hoffst du, dass er wiederkehrt.
Du bist und bleibst nun mal ein Optimist.
13.10.13
Katerstimmung
Zuweilen möchte man ein andrer sein
Und stiege gern aus seiner eignen Haut.
Den Weg hinaus hat man sich selbst verbaut,
man resigniert, verlässt sich auf den Schein.
Man müsste. Oder nein, doch lieber nicht.
Am besten ist es wohl, es ganz zu lassen.
Man ärgert sich, beginnt sich selbst zu hassen.
Dann liegt sie rum, die ungeliebte Pflicht.
Zuweilen, ach, man möchte ja zuweilen.
Der Anfang nur, der ist so schwer zu finden.
Das halbe Leben kann so tatenlos enteilen,
besteht dann bloß aus Unterlassungssünden.
Man siehts ja ein, man ist ein loser Kunde
und liebt nun mal die eingefahrnen Gleise.
Und dann gesteht man sich zu stiller Stunde:
Ein andrer wird man nie auf diese Weise.
30.9.13
Jetztmensch
Nur diese Zeit, du warst hineingeboren,
du hattest niemals irgendeine Wahl,
warst nackten Leibs, du schriest und hast gefroren,
schon jetzt erschien das Leben dir als Qual.
Du fühltest dich im Weltenraum verloren,
du fluchtest deinem Dasein und den Horen,
als Vieh, so sahst du dich, in dem Korral,
das Leid erschien dir als dein Muttermal.
Nur diese Zeit.
Versuchtest, durchzukommen ungeschoren,
doch der Erfolg blieb meistens minimal.
Dann hast du dir zum Lebensziel erkoren
ein kleines angepasstes Ideal
und es mit deinem Herzensblut beschworen.
Nur diese Zeit.
11.12.13
Am Abgrund
Die Welt, wie unerklärlich sie dir scheint,
verstrickt sich oft in Widerspruch und Lüge.
Und du, mein Freund, bist ganz allein gemeint.
Es sang dir niemand einst an deiner Wiege,
dass diese Zeit, die du dein Leben heißt,
das Opfer wird der großen Pyrrhussiege.
Das Gran Vernunft stiehlt man dir dreist,
das Restchen Seele schwindet über Nacht,
du fühlst vom Irrsinn dich nur eingekreist.
Die Welt, wie unerklärlich sie dir scheint.
Und harmlos hast du dich mal aufgemacht,
ein Nest zu bauen, das man sicher meint.
Du ahnst: Du hast dir etwas vorgemacht.
25.11.13
Die komplizierte Frau
Als Frau hat man zu Hause seine Pflichten.
Der Haushalt ruft. Jaja, ich komm ja schon!
Viel Freude macht der ganze Spaß mitnichten,
es ist bloß nur, weil ich nun mal hier wohn.
Das bisschen Liebe – darauf ist gepfiffen.
Die Männer wechselten von Jahr zu Jahr,
denn wer mit Anstand konnte, hat gekniffen,
und heute ist das alles nicht mehr wahr.
Ich bin nicht pflegeleicht, bin komplizierter,
war meinen Männern immer zu gescheit.
Stand später dann vor mir ein Annullierter,
zerfloss er schier vor Liebenswürdigkeit.
Ich könnte mir was Wunderschönes denken,
hätt ich das Kleingeld bloß im Portmonee.
Was ich vermiss, das kann mir keiner schenken,
kein neuer Mann und keine gute Fee.
Den Zipfel Welt (sie liegt mir nicht zu Füßen),
mehr will ich nicht. Nicht jeden Tag das Grau,
nicht ständig für mein holdes Weibsein büßen.
So sieht sie aus, die komplizierte Frau.
15.11.13
Der Alte
Ja, manchmal findest du es angenehm,
dass du nicht mehr der Jüngste bist.
Du lebst so hin für dich, nun meist bequem.
Auch wenn du schon mal was vergisst.
Und öfter denkst du, wie es einmal war.
Voll Sehnsucht blickst du jetzt zurück,
kommst mit verschiednen Dingen selten klar,
wenn du’s noch bringst, dann hast du Glück.
Du bist von gestern mit der Nostalgie –
wer noch die Sehnsucht kennt, ist out.
Du hast nichts drauf mehr auf der Batterie
und kommst nicht aus der eignen Haut.
Du stehst am Fenster und siehst weise aus.
Und fragst dich: Hat es sich gelohnt?
Und gibst am Ende selbst dir den Applaus.
Bist es ja lebenslang gewohnt.
8.11.13
Der Illusionist
Man liebt nichts mehr als seine Illusionen,
tief müssen sie in unsern Seelen wohnen.
Und jeder glaubt, dass ohne sie kein Leben,
zu fade wär das Dasein ohne sie,
zu groß das Defizit an Phantasie,
man muss mit Illusionen sich umgeben.
Die raue Wirklichkeit wird angenehmer,
mit Illusionen lebt es sich bequemer.
Man kann getrost die Augen fest verschließen
vor allem, was des Menschen Herze kränkt,
gleich fühlt man sich von lieber Macht gelenkt,
erst jetzt kann man die Gegenwart genießen.
Doch eines Tages dann kommt das Erwachen,
wer Illusionen hat, hat nichts zu lachen.
Er fragt, warum hat er das nicht gesehen,
dass all das Schöne doch nur Lug und Trug,
mit einem Mal hat er davon genug
und wünscht, sie alle wären ungeschehen.
Und jetzt verflucht er seine Illusionen,
will niemanden und nichts damit verschonen.
Dass er sich selbst getäuscht, will er nicht wissen
und sucht schon jetzt nach neuer Illusion,
die des Verlustes angemessner Lohn.
Er braucht nun mal sein warmes Ruhekissen.
2.11.13
Wenn einer stirbt
Da stirbt der arme Mann ganz unverhofft.
Als ob man hoffen müsste auf sein Sterben –
bloß Illusionen, sonst gibt es nichts zu erben.
Passiert bei kleinen Leuten reichlich oft.
Der gute Mensch, dass er schon gehen musste!
Die Hinterbliebnen fangen an zu greinen.
Mit Mienen, die am Grabe fast versteinen,
verwimmert man den Tod mit viel Gehuste.
Nur der Kanarienvogel piept ganz heiter,
im Haus blieb keine Uhr erschrocken stehen.
Kaum jemand fragt: Wie soll es weitergehen?
Denn irgendwie geht es doch immer weiter.
28.9.13
Traum vom offenen Meer
Wir spüren nicht mehr das Entgleiten
des eignen Ichs, dass man sich selbst entleert.
Wir gehen stumpfer mit den Zeiten,
und keiner, der sich dessen noch erwehrt.
Wie wenig gelten heut noch Träume,
sie sind uns nur noch eine dumpfe Last,
eröffnen niemandem mehr Räume,
der Träumer ist uns nur noch ein Phantast.
Wir üben uns in großen Worten,
da ist kein Satz, der uns schon groß genug -
die Zeit der tönenden Kohorten,
die Zeit von Lüge und von Selbstbetrug.
Wir stehen stumm vor tausend Fragen,
kein Gott, der jemals uns die Antwort gab.
Vor uns ein ganzer See von Plagen,
das offne Meer, noch liegt es sehr weitab.
1.5.14
Mutanten
Wir haben doch nur diese eine Zeit,
dies Leben, ungefragt und unbekannt.
Und uns, den Kinder der Genügsamkeit,
hat sich das Stilleschweigen eingebrannt.
Das Leid der andern kann uns nicht berühren,
es reicht, was wir am eignen Leib verspüren.
Verblüht sind wir und waren niemals jung,
wir fragten niemals nach des Daseins Sinn.
Wir leben hin für uns ganz ohne Schwung,
das nackte Leben schon ist uns Gewinn.
Wir wissen es, dass sie uns massakrieren -
doch bleibt uns nur ein stilles Akzeptieren.
In dieser Welt des Schweigens und des Nichts,
wo jedes Widerwort als Aufruhr gilt,
zerrt man uns vor die Schranken des Gerichts,
bleibt jeder Traum von Freiheit ungestillt.
Wir schweigen, müssen uns darein bescheiden.
Sind wir geboren für den Tod, das Leiden?
10.1.14
So um die Siebzig
Noch geht's treppab mit festen Schritten -
hinauf, da fällt es dir schon etwas schwer.
Noch bist du hierorts leidlich wohlgelitten,
blickt man dir auch mal raunend hinterher.
Fragst dich in ungeschlafnen Nächten
wozu die Wunden taugen, die man dir schlug
in längst vergangenen Gefechten,
die Seele blutet mehr als nur genug.
Du hast die Muße jetzt, um nachzusinnen.
Ob noch was kommen wird, das fragst du dich.
Wie rasch siehst du dein Leben so verrinnen -
schad um die Zeit, die viel zu schnell entwich.
3.5.14