Sozusagen Hamlets Geist

 

Was Bittres spürst du heut in deinem Mund.

Du schluckst. Das Bittere will nicht vergehen.

Wie Trauer ist es plötzlich, ohne Grund -

es scheint, dass alle Sorgen Schlange stehen.

 

Du suchst und ahnst es nicht, worum es geht,

und spürst die wohlbekannte Seelenleere.

Da kreist doch was in dir – wie ein Komet,

wie wenn dein Körper nicht mehr deiner wäre.

 

Weißt nicht, was vorgeht heute da in dir.

Sagst dir beherzt, das kann schon mal passieren.

Du raffst dich auf zu alter Lebensgier -

man muss sich mit dem Teufel arrangieren.

 

Und doch, der kleine Rest von Bitterkeit.

Du ahnst, der bleibt: Dein Dasein gibt Bescheid.

 

3.2.17

 

Der Realist

 

Es klagt der brave Mann voll Zorn und Frust:

„Das ganze Leben ist ein Kompromiss!“

Das wurde kürzlich ihm sehr klar bewusst,

sein Schicksal nennt er nur noch Nemesis.

 

Drum setzt er seinen Fuß nur Schritt für Schritt:

Wer übertreibt, der ist ganz übel dran.

Mit jugendlichem Eifer ist er quitt,

er ist jetzt wer, jetzt ist er stark: ein Mann.

 

Verantwortung! Das ist sein Zauberwort,

und voll Elan trägt er sie Tag und Nacht.

Er hat sich, wie man sagt, in sie verbohrt,

für sie wirft er sich mutig in die Schlacht.

 

Die Mitte ist sein angestammter Platz.

Denn was er braucht, ist nun mal Sicherheit.

Was rechts und links, das übergeht er stracks,

er steht für strenge Ausgewogenheit.

 

Gerecht teilt er die Welt in Bös und Gut,

wie einst zu ihm der Lehrer Hempel sprach.

Was er am meisten hasst, das ist die Brut,

die nichts als Chaos schafft und Krach.

 

Als Realist sieht er die Welt real.

Wer spinnt, der ist ihm äußerst obsolet,

und er verabscheut jede Art Skandal.

Man sieht, der gute Mann hat Qualität.

 

10.6.17

 

Beim Herzspezialisten

 

Das Wartezimmer ist heut reichlich voll.

Man sitzt wie stumm, kein Mensch blickt einen an

und wartet nur, man ist ja noch nicht dran -

mit Blick ins Leere, dir scheint’s, sorgenvoll.

 

Ein Platz ist frei, du setzt dich höflich hin.

Der neben dir, der ist ein dicker Mann.

Dann sitzt du da und lächelst den Herrn an.

Der grinst, ein bisschen wie von obenhin.

 

Dich überkommt so was wie leichter Schlaf,

du schließt die Augen, träumst dir irgendwas.

Ein kleiner Traum aus Watte oder Glas.

Dann wachst du auf und wartest weiter brav.

 

Es ist das Herz, du greifst dir an die Brust.

Mal macht es leise Tick, dann stärker Tack.

Schon fühlst du ernstlich dich als halbes Wrack.

Du bist dem Tod geweiht, wird dir bewusst.

 

Du ärgerst dich, dass man hier warten muss!

Das könnte doch ein bisschen schneller gehn!

Nicht mal die Krankenschwester ist zu sehn!

Und du beschließt: Mit Warten ist jetzt Schluss!

 

Doch plötzlich tönt es krächzend von der Wand:

„Herr Groß, Raum drei!“ Herr Groß steht auf und geht.

Du siehst zur Uhr: Ist ja schon ziemlich spät!

Greifst dann nach einer Zeitschrift kurzerhand.

 

Und nach zwei Stunden bist du endlich dran.

Der Arzt blickt ernst: Gott, alles halb so schlimm.

Du atmest auf, vergisst schnell deinen Grimm,

denkst dir: Ein ausgesprochen netter Mann.

 

31.1.17

                 

Da war doch was

 

Als Lebensphilosoph muss ernst man bleiben,

wer lacht, verirrt sich bloß in Seichtigkeiten.

Wir haben nämlich allerernste Zeiten

und keine Zeit, sie unernst zu vertreiben.

 

Doch neulich, vor dem Badezimmerspiegel,

da trieb dich was, dich selbst mal anzulachen.

Und du erschrakst: Was sind das nur für Sachen?

Und schobst sogleich davor den ernsten Riegel.

 

Und doch - bist du zur Freude nicht geboren?

Dann prüfst du deine hart erworbnen Falten,

denkst ans Büro, die bitteren Gestalten -

wenn einer lacht, dann ist er schon verloren.

 

29.1.17

 

Apropos, Harmonie

 

Man müsste, dacht ich manchmal so bei mir,

ein kleines feines Gartenglück besitzen,

Radieschen ziehen, rote Äpfel im Spalier,

des Abends Sterne zählen, die dann blitzen.

 

Das wäre schön. Die reinste Harmonie.

So gerne würde ich den Amseln lauschen,

zu Mittag gäb‘s Spinat mit Sellerie,

ansonsten rundherum bloß Bäumerauschen.

 

Mein stiller Traum. Das blieb er leider auch.

Ach, meine Zeit ist gartenlos vergangen,

von dem Radieschenbeet nicht mal ein Hauch –

tja, dieser Traum war wohl ein Unterfangen.

 

So ist der Mensch. Nicht alles macht er wahr.

Er träumt zuweilen, schmiedet große Pläne.

Erwacht, hält er sie dann für sonderbar

und schickt sie seufzend in die Quarantäne.

 

26.1.17

 

Vorm Pflegeheim

 

Der Tag novembergrau. Und grau das Haar

der Frau im Rollstuhl vor dem Pflegeheim.

Sie raucht. Und macht vielleicht sich einen Reim

auf all die Menschen hier auf dem Boulevard.

 

Mir scheint, besonders alt ist sie noch nicht.

Ein kleiner Seitenblick: Ihr fehlt ein Bein.

Die Ärmste, denke ich. Ach, Schwesterlein.

Wie traurig so ein Leben voll Verzicht.

 

Es kommen Leute, und sie gehn vorbei.

Sie lächelt, grüßt – doch keiner grüßt zurück.

Was können sie denn für ihr Missgeschick?

Den Leuten ist sie gänzlich einerlei.

 

Dann sieht sie mich. Sie lächelt wie im Glück.

Ich trete auf sie zu, reich ihr die Hand.

Sie lacht mich an - als seien wir bekannt.

Und rollt zufrieden in das Haus zurück.

 

22.1.17

 

Das lächelt sich doch weg

 

Im Bad der Spiegel sieht dich an.

Ist erst halb sechs, so früh am Morgen,

dass jeder Mensch bloß gähnen kann.

Und was du siehst, verkündet Sorgen.

 

Dein ganzes Elend über dich,

du fühlst sowas wie innre Leere.

Probierst ein Lächeln für dein Ich,

als ob dir nur nach Frohsinn wäre.

 

Der Spiegel riecht sogleich Betrug,

wie Tränen siehst du Tropfen rinnen.

Wirst wieder ernst: Nun ist’s genug.

Der falsche Frohsinn flieht von hinnen.

 

Und in der Hand der Türe Knauf,

ein kleines Lächeln vor dem Gehen.

Du setzt die Alltagslarve auf:

Dir geht es gut. Kann jeder sehen.

 

3.1.17

 

Frau mit Spiegel

 

Schon Licht im Zimmer, und die Frau erwacht.

Sie fühlt sich nicht. Und eilt sogleich ins Bad.

Was hat bloß dieser Traum mit ihr gemacht -

dass man sogar im Schlaf noch Ärger hat!

 

Sie hat geträumt, sie sei jetzt alt und grau,

mit Buckel, und kein Mann sieht sie mehr an.

Noch ist sie ja, das weiß sie sehr genau,

nicht alt, und sie gefällt noch jedem Mann!

 

Im Spiegel prüft sie das Gesicht, die Haut.

Besichtigt sich dann mal von Kopf bis Zeh.

Vielleicht die Hände? Gleich mal angeschaut!

Die Nagelfarbe stimmt, die ist okay.

 

Und vor zwei Wochen war sie beim Friseur.

Sie greift sich in das Haar: Sitzt doch ganz gut!

Und noch nicht grau - das wäre ein Malheur!

In Ordnung, sagt sie sich dann resolut.

 

Und die Figur? Doch immer noch perfekt!

Wenn sie da an die andern Frauen denkt –

da ist doch so ein Mann gleich abgeschreckt!

Als hätte Gott ihr die Figur geschenkt!

 

O ja, sie ist noch schön wie – wie hieß die gleich?

Dass sie den Namen auch vergessen muss,

na, die im Fernsehn neulich, superreich …

Sie seufzt. Gibt dann dem Spiegel einen Kuss.

 

12.1.17

 

Frauenperspektive

 

Ja, ich bin Frau, ich weiß es zu genau.

Aus mir ist leider Gotts kein Mann geworden,

man sieht’s an meinem ganzen Körperbau.

Ich will bestimmt dafür auch keinen Orden.

 

Ganz fein und still, das soll ich ständig sein,

und manch Verehrer hat mich schon bedichtet.

Wofür, das weiß der liebe Gott allein,

der diese Männerwelt gewiss mal richtet.

 

Von mir kommt nie ein böses Widerwort,

ich schweige still, steh täglich bloß im Schatten.

Versteh ich ja, es wäre doch ein Tort,

hielt ich mich klug nicht raus aus den Debatten.

 

Ich weiß, was für die Dame sich gehört.

Doch wünsch ich mir den Mann als Kameraden,

den es auf keinen Fall zutiefst verstört,

dass ich nicht leben will von seinen Gnaden.

 

Ach ja. Viel wurde schon für mich getan.

Doch ist das alles? Darf man doch mal fragen.

Ich zieh den Männern ihren Weisheitszahn

mit Freuden, Weibsgeschick und mit Behagen.

 

Auf dass der Männerwelt ein Licht aufgeht,

dass ohne Frau sie niemals existierte

(schon möglich, dass es eines Tags zu spät):

Die Eva war’s, die Adam einst verführte.

 

7.1.17

 

Bessere Gesellschaft

 

Wenn Herren ihre großen Reden schwingen,

steht du als seine Frau wie stumm daneben.

Und leise fühlst du in dir etwas klingen,

du denkst für dich: Ach Gott, so ist das Leben.

 

Hier bist du nur das fünfte Rad am Wagen,

bloß das Dekor der männlichen Kohorte.

Sie reden, und du hörst sie lauthals sagen

was von Rendite oder noch so Worte.

 

Mit diesem Mann, weißt du, bist du geschlagen.

Der kann sich nicht mal seinen Schlips selbst knoten!

War anders einst, in längst vergangnen Tagen -

jetzt lachen sie, jetzt sind sie bei den Zoten.

 

Als er noch sagte, dass er dich sehr liebe

(du strengst dich an, dir das heut vorzustellen),

dass er am liebsten Liebesbriefe schriebe,

da klang’s in dir wie Pauken und Tschinellen.

 

Wie lange ist das her - du musst mal zählen:

Das war vor vierundzwanzig Ehejahren.

Was trieb dich bloß, dir den mal zu erwählen?

Hach ja, da war er noch ein Mann mit Haaren.

 

Du hast studiert, und wollt er davon wissen?

Denn in der Firma hast du nichts zu sagen,

du warst sein angewärmtes Ruhekissen.

Als du es dann begriffst, was half dein Klagen.

 

Es ist zu Ende, und jetzt wolln sie gehen.

Du hasst es, wenn sie dir „das Händchen“ küssen:

Theater! Alles! Davon abgesehen.

Für die bist du bloß Weib, der Leckerbissen.

 

13.1.17

 

Selbsthilfe zuerst

 

Der alte Mann liegt mitten auf dem Weg.

Wie’s aussieht, gut rasiert und situiert.

Was ist dem armen Kerl denn bloß passiert?

Und hat der denn dafür ein Privileg?

 

Wie peinlich, geht es dir durchs Hinterhirn.

Das tut man einfach nicht. Was denkt der sich?

O Gott, das ist ja fast schon unmenschlich!

Liegt hier herum in seinem feinen Zwirn.

 

Wenn man schon mal die Erste Hilfe braucht!

Vom Rettungswagen weithin nichts zu sehn.

Wär wohl das Beste jetzt, man würde gehn,

man fühlt sich von dem Anblick bloß geschlaucht.

 

Blickst noch mal hin und überlegst dann kurz:

Kein Blut. Ein Unfall kommt nicht in Betracht.

Der liegt in tiefem Schlaf! Bis der erwacht!

Entscheidest dich: Tangiert dich keinen Furz.

 

Ein kurzes Weilchen stehst du noch herum

und tust dann das, was hier noch jeder macht.

Was soll’s, wen kümmert denn die Niedertracht:

Steigst drüberweg, siehst dich nicht einmal um.

 

2.1.17

  

Traurigkeit, die man jetzt kennt

 

Ein stilles Haus, die Nachbarn hört man nicht.

Nur auf der Treppe sagt man guten Tag.

Ist ja doch bloß das bisschen Nachbarspflicht.

Gott weiß, denkt man, ob der mich mag.

 

Ich wohn mit lauter Alten hier im Haus.

Man geht auf Zehenspitzen Tag und Nacht,

und früh gehn hier die Lichter abends aus.

Wer lange fernsieht, kommt schnell in Verdacht.

 

Die neue Fremdheit, sie beherrscht das Haus.

Heut ist man Individuum zu zweit.

Gemeinschaft, die ist out, sie ist ein Graus.

Man lebt jetzt mehr die feine Einsamkeit.

 

Die Zeit verging, nun sind die Kinder groß,

wir Alten blieben ganz allein zurück.

Ach, manchmal fühl ich mich wie heimatlos.

So geht’s – von Lichtenberg bis Köpenick.

 

6.1.17

 

Ein sehr alter Mann erzählt

 

Du fragst, wie es mir geht, so ganz alleine?

Ach, irgendwie kommt man doch immer hin.

Die Zeit, sie führt mich an der kurzen Leine,

am Ende bleibt sie die Gewinnerin.

 

Ich fühl, mir kam da irgendwas abhanden,

vielleicht der Gleichmut oder was weiß ich,

weil schon so viele Freunde still verschwanden.

Und jetzt allein – nicht angenehm für mich.

 

Stupide Tage voller Langeweile,

ich denk an dies und das. Und überhaupt,

an manchen Tagen lauf ich eine Meile,

sobald der alte Körper es erlaubt.

 

Als Fremder gehe ich durch meine Straßen,

und was da lebt, ist nicht mehr meine Welt.

Die Häuser, die mich lange schon vergaßen,

was hat die Zeit mit ihnen angestellt?

 

Zu Hause endlich, schließe ich die Türen,

will nichts mehr sehen, keinen Laut mehr hören,

die Gegenwart kann mich nicht mehr berühren,

sie würde meine leise Welt bloß stören.

 

So lebt sich’s hin, ich zähl zum Überreste,

der kranke Baum, der‘s nicht mehr lange macht.

Ein letzter Schlaf, ach ja, der wär das beste.

Dann liege ich und warte auf die Nacht.

 

Den Frühling möchte ich noch mal erleben,

die Welt wie neu, wenn alles blüht und grünt,

ein Restchen Leben wäre mir gegeben.

Wer weiß? Ich denk, ich habe es verdient.

 

2.12.16

 

Heimwärts

 

Welt ist die Straße nun,

mit der ich vertraut bin, als sei sie

mir angewachsen an den Leib, und doch

immer wieder die Fremdheit in mir

bei so viel Normalität.

  

Jetzt hat der Winter

begonnen, ungeduldig hoffe ich schon

auf sein Ende, das erneut

dem Auge die Farben der Erde

zu trinken gibt.

 

Ich denke an die Wenigen,

die mir geblieben, und an die Toten,

die gingen ohne Nachricht,

deren Werke den letzten Handgriff

noch bezeugen.

 

Was bleibt, ist Erinnern,

ist Ahnung von dem, was kommt,

wenn ich unter der Januarsonne dahinschreite,

als zöge es mich durch ein Zeitentor

ins Ungewiss.

 

1.1.16

 

Man kennt das ja


Wer kennt nicht diese dummen blassen Tage,

wenn gar nichts klappen will und nichts passiert,

ach, solche Tage sind die reinste Plage.

Als ob das Leben stänkert und stagniert.

 

Wie blind läufst du durch alle deine Zimmer,

vergisst, was du vergessen hast und suchst,

hast keine Ahnung, nicht den kleinsten Schimmer,

stehst wie dein eignes Denkmal da und fluchst.

 

Und in der Küche kocht der Kaffee über,

auch Technik ist nicht mehr, was sie mal war.

und deine Stimmung wird jetzt immer trüber,

nichts passt, die Welt wird unberechenbar.

 

Du fühlst so was von ungenauer Trauer,

dein Dasein trägst du mit verkniffnem Mund,

verschanzt dich hinter deiner innern Mauer,

die Seele fragt verzweifelt nach dem Grund.

 

Dir kommt der ganze schöne Tag abhanden,

durch den machst du mal einen dicken Strich.

Erst wenn er abends glücklich überstanden,

dann wirst du Mensch, vorbei der Tatterich.

 

21.8.15


Schlaflos

 

Nachts, wenn die Straße daliegt,

als sei aller Tageslärm für immer vergessen,

nachts, wenn die Konturen der Häuser

im Dämmer vergrauen, nachts stehst du

müde am offenen Fenster.

 

Du siehst den vom Haus gegenüber,

genau wie du steht er im Dunkel und

hofft wie du, und du grübelst, warum denn der,

kannst dir rein gar nichts erklären, nur -

irgendwas müsste passieren.

 

So schweigsam die Nacht,

dir ist, als müsstest du alles herausschreien,

das, wovon niemand spricht, du spürst

wieder diesen Drang in die Fremde,

irgendwohin.

 

Und dann weißt du nicht weiter,

du denkst an morgen, und die Nacht

noch so lang, eine Straßenbahn grollt vorbei,

und dann schlurfst du zu Bett, wirfst dich

aufs Laken. Komm, Schlaf.

 

8.8.15

 

Das, was ist

 

Verirrt in die Straßen der Kindheit,

stand ich vor den bekannten Häusern;

noch immer üppiges Grün, Duft von

Rosen wie damals, als unser Leben

einzig ein Traum war.

 

Die Hausnummern sprachen

von uns Kindern, der und die wohnten

dort und dort, noch einmal die Rufe

der Mütter, noch einmal die Gerüche

der Hauseingänge.

 

Ein Sandsturm die neue Zeit,

verwehte die Burgen der Kindheit,

gläsern ragte ein Haus in die Straße,

mit schreiendem Namen, ich wollte

ihn mir nicht merken.

 

Still war es, nirgendwo

spielende Kinder, die Straße nun halb

in der Sonne, mitten durch

die Menschenleere ging ich, gepeinigt

vom Lärm meiner Schritte.

 

Zuletzt noch einmal die Rosen

vorm Haus, suchend ein Blick hinauf

zu den Fenstern, zu fremden Gardinen,

und mir war, als geriete ein wenig

das Herz aus dem Takt.

 

26.5.15

 

Die Mutter

 

Ich kam aus ihr, ungelegen,

die geerbten Gesten verraten mich,

was ich meinen Verstand nenne,

das halbe Glück im Unglück.

Woher der Gedanke an sie,

so anlasslos, fern vom Grab.

 

Ich höre ihre Stimme noch,

sehe sie sitzen, breit, mich musternd

mit schwachen Augen, als käme ich

fremd in ihre Welt, als stelle

sie mir ungern die Frage

nach dem Woher.

 

Ohne Zutun die Zeit vergangen,

versteint die Lust an Welt, an Leben,

ich sah die tauben alten Hände.

Wortlos ging sie, wie selbstverständlich,

es gehörte sich so, ein Seufzer.

Da war nichts mehr offen.

 

21.1.15

 

Verbesserungsvorschlag

 

Neulich der alte Mann,

er kam mir entgegen mit seinem

Einkaufswagen, ich lächelte ihm zu

und wich aus, zu schmal

der Weg für uns beide

 

Der Schmerz im Kreuz,

die Beine wollen nicht recht,

aber die Elstern, brummelte er,

die haben es gut, der Mensch

müsste Flügel haben

 

Bedächtig, Meter für Meter,

zog er seinen Wagen über den

Bürgersteig, der kluge Alte;

ach ja, dachte ich, der Mensch

müsste Flügel haben

 

21.5.15

 

Tiefdruckgebiete

 

Die durch mein Leben gingen,

durch die Tage des Mai, durch die

strengen Winter, die mir die Würde gaben,

mich und die Welt zu begreifen, wie

sollte ich sie nicht missen?

 

Gegenwärtig sind jene nun,

die an mir vorbeiziehen, beiläufige

Passanten, die Straßen queren,

mich anrempeln, mir vielfache

Genügsamkeit beibringen

 

Leben müssen

ohne die hohen Tage der Himmel,

ohne Liebe, mit wachem Schmerz,

verloschenen Stimmen -

leben, aber wie

 

16.5.15

 

Fotoschau

 

Auf den Fotos haben wir

unser Selbst noch nicht gefunden,

unsere kindlichen Gestalten

rühren uns an, kaum können

wir glauben, dass wir das

einst waren

 

Viel zu schnell die Zeiten

vergangen, verformt hat uns

das Leben, der Spiegel offenbart uns

verschwiegene Wahrheiten,

von denen die glatten Fotogesichter

noch nichts ahnen konnten

 

Wer wusste schon,

was auf uns zukommen würde,

welche Verwerfungen auf uns warten,

aber die Zeichen der Jahre

machen uns kenntlich als die,

die wir nie sein wollten

 

14.5.15

 

Die ihre Liebe lassen

 

Die Lichter verströmen

ins Dunkel, den Schatten gleich,

die über die Ebenen fliehen,

und die Menschen der Erde

abgewandt

 

Die gestoßen ins Abseits

der Welt, die ihre Liebe lassen,

blind alle Schmerzen ertragen,

die kein Balsam lindert

und kein Traum

 

Stimmen in den Lüften,

die Frage, wie werden wir sein,

wenn Schnee nur und Eis die

Nächte erhellen, die roten

Rosen erfrieren

 

12.5.15

 

Bilanz

 

Heller ein wenig die Welt,

in der du lebst, Licht auskömmlich,

dein Refugium, das den

kleinen Freiheiten Atem lässt

vor dem Ersticken

 

Wenige, die dir geblieben,

hiernieden kein Sang noch und

die Botschaften der Sprache

erhellen nichts mehr, die Gruben

sind ausgehoben

 

Was bleibt, ist ein Ahnen

von seltenem Glück, irgendwann

in den Seiten der Bücher, den

ungeschriebenen Versen der Dichter,

die nach uns kommen

 

4.5.15

 

All diese Mitten

 

Nicht die Stunde,

den neuen Tag anzurufen,

dunkle Abende wehen

ins späte Land

 

Uns führt es durch

irreale Träume, wir sehnen

uns nicht, Leben als

randloser Zustand

 

Entleihen uns

Silhouetten des Schmerzes

für laue Tage, warten

auf Tröstungen

 

Von Ängsten die

die Seelen erfüllt, übervoll,

eingezäunt ins Ahnen,

und nichts, das sich rührt

 

29.4.15

 

Generationen

 

Beschreiben kannst du

die Sehnsucht nicht nach der Weite,

den endlosen Himmeln, nicht,

was dich durchs Dasein treibt.

 

Die Vorväter hängen an den

Wänden, leben in deinen Adern,

zufällig haben sie dich in die Welt

gesetzt, du hattest keine Wahl.

 

Du duckst dich, wo du schreien

müsstest, du schuftest für die,

die dich um dein Leben betrügen,

bist der gelehrige Muschkote.

 

Wenn sie dich in ihre Kriege

schicken, schießt du auf ihre Feinde,

die nie deine waren, du schießt

und verreckst auf Befehl.

 

Du, Ebenbild eines Ebenbildes,

Spiegel ihrer Verzweiflungen,

hast die Sehnsucht vergessen,

wer du sein könntest.

 

16.4.15

 

Leben halb

 

Nein, kein Wort gibt Schutz

vor den Ungeheuerlichkeiten

der Zeiten, in die wir bedenkenlos

hineingeboren, und kein

tröstender Satz

 

Die Haut nimmt die

Kälte nicht auf, die Schreie

erreichen die Ohren nicht mehr,

taub leben wir die Tage, verlassen

hat uns die Trauer

 

Vorüber an uns zieht

das Leben, kaum lesen wir seine

Spuren noch in den Gedächtnissen,

wir reißen unsere Narben auf,

dass sie bluten

 

Unempfindlich vegetieren wir

mit schwelenden Wunden, nur dann

und wann empören wir uns,

wenn ungefragt Spiegel aufblitzen

und wir uns erkennen

 

5.4.15

 

Der über die Flüsse läuft

 

Es schreit,

es schreit in dir, ein unerklärbarer

Schmerz, zu groß, bitter wie das Horn

eines Pferdes unterm Messer

des Schmieds

 

Bilder stürzen, allein mit dir,

deinen Träumen, der Stimme, die

dich treibt, fordernd, maßlos,

unzivilisiert, dein Freund,

dem du dich öffnest

 

Die Welt ein Spiegel

der Welt, du lachst, du hast sie

durchschaut, die gläserne Nacht

dein Tag, und der Mörder

Mond grinst

 

Du weißt, niemand weiß es,

allein du, der über die Flüsse läuft,

göttlich, und der Schmerz,

der unerklärbare, frisst an der

Seele, die sie dir rauben

 

1.4.15

 

Anderssehen

 

Noch ist der Frühling

nicht eingeblaut in die Tage

des Jahrs, in die Wiesen,

die Wälder, und

 

der Blick zum Himmel

zeigt nicht nur Wolken, dort

proben sie ihren Krieg, jagen

Furien über die Lande

 

Ja, der Frühling, sagst du,

er will wohl kommen,

sieh, die Knospen der

Kastanie platzen im Wind

 

Ich sehe dich, die Geste,

mit der du über den Tisch

langst, und sehe dich anders,

als wärst du schon tot

 

27.3.15

 

Kleines Hoch

 

Unversehens singt etwas

in uns, kaum erklärbar, die Tage

halten nicht an, nichts im

Ungewissen, alles, alles

ans Ende gebracht

 

Unversehens der Blick

durch Blumengärten in fremde

Gesichter, Leichtigkeit

in uns, die Zäune abgerissen,

die Pfosten zerbrochen

 

Unversehens geben wir

den Wörtern die Farben wieder,

scherzen mit dem Schmerz,

die Welt ein einziges

grünes Arkadien

 

16.3.15

 

Verweilen

 

Licht scheint dir

auf die Finger, und da ist

eine kleine Wärme, Rauch

steigt auf und nichts als

Stille, nur Stille

 

Und du denkst,

das Leben beinahe gelebt,

es gilt den letzten Rest,

den dir ein paar Sommer

versprechen

 

Du lauschst dem Wind,

dieser Welt nach der Norm,

in dir brennt etwas,

und du vergisst schon mal

den Tag und dich

 

11.3.15

 

Meinen Freunden

 

Erinnern der Liebe,

wir lebten inmitten grüner Städte, 

bescheidener Kiefernwälder,

da waren viel Lichter, viel Hoffen,

auch der Tränen einige

 

Die Zeit geht den Wolken

nach, sie schläft in kalten Betten,

Winde vor verhängten Fenstern,

und ein Sturmvogel rüttelt

über dem Meer

 

8.3.15

 

Traumes Ikarus

 

Warum nicht leben

mit dem Traum vom Fliegen über

die Wolken, hin zu den Sternen,

in die Unendlichkeit

 

Träumer du, steigst auf,

alle Erdenschwere verwandelt in

Federflügel des Mythos; der Sturz

ins Meer keine Legende

 

Lichter der Nacht umarmen

deine Träumerseele, im Morgengrau

du ein nackter Gott, abgestürzt

ins unsäglich Wirkliche

 

7.3.15

 

Du, deine Träume

 

Nicht leicht, Mensch zu sein

unter Menschen, wenn du durch

wolkenschwere Tage gehst, dass dein

Herz den Boden schleift und da nur

ein Ahnen ist

 

Kaum kannst du hoffen, dass

Sommer deine Seele wärmen wird,

der Regen fällt in die Tage

des März, bleiben nur die Worte,

die Worte allein

 

4.3.15

 

Ausharren

 

Da ist nichts zu sagen, nichts

von Bedeutung, Tage und Nächte

wechseln sich ab, ungeliebt kommen sie,

ein leeres Blatt, gehen sie.

 

Dann liegst du und belauerst

in halbem Schlaf die Geräusche der

Stille, armer Sysiphos, der den

Fels vergeblich wälzt.

 

Unbemerkt treibt die Zeit

durch Nächte und Tage, und von

den vielen lustlosen Stunden nicht

eine des Aufhebens wert.

 

28.2.15

 

Dezembersonne

 

Dass Stille hörbar wird

und dein Schweigen mehr verrät, als du

wissen kannst, Ahnungen durch deine

Nächte kreisen und es ist wie

ein nie endender Hürdenlauf über

unendliche Meter Leben

 

Du machst dir ein Bild, und dein

eigenes Gesicht erkennst du nicht mehr

du hoffst, dass der Spiegel dich grundlos

belehrt; und wie blind trittst du

zurück in die Sonne, den Dezember

mit seinen langen Schatten

 

27.2.15

 

Wer weiß es denn

 

Es wird alles gut

wenn am Abend die Sonne

hinter Dächern versinkt, als ob sie

ins Nichts verginge, und dieses

Schweigen nur bleibt

 

wenn Dunkel sich auf uns legt

auf die Münder der alten Frauen, die

immer schon alles gewusst haben

und ein leises Pochen durch die

Herzen geht wie Ahnen

 

wenn die Erde in Schlaf fällt

Nebel durch die Straßen wehen und

Lautlosigkeit unsere Seelen betritt

dann mag es sein, es wird

noch  alles gut

 

26.2.15

 

Erfahrungswert

 

Nun die Stunde, in der

du begreifen willst, dich selbst und

das nicht Sichtbare, was du dir

immer ersehnst, genannt

dein Traum von Welt

 

Was hinter dir liegt

die Enttäuschung, der Schmerz

des Verrats, die Leichtigkeit, mit der

wir uns selbst aufgeben, sobald

dunkle Zeichen aufziehen

 

Nichts zählt; und dann gehst du

vorüber an denen, die nichts mehr

erwarten, die nur auf die Münze

hoffen, die dann und wann

in den Blechtopf klirrt

 

24.2.15

 

Nach Jahren

 

Die Orte verlieren sich

im Gedächtnis, kein Ahnen, was dort

der Schmerz des Heute kostet

was auch wissen wir

 

Die Bilder verlieren

die Farben; wir leihen uns Leben

für Zeiten des Erinnerns

ehe die Winter dräuen

 

Wege, die wir gegangen

ich denke noch dran, unsichtbar

die Gesichter, könnte ich

Träume finden wie einst

 

Wo ich mich ins Glück

eingeschrieben, in die flüchtigen

Furchen der Wolken; nur

die Trauer, sie bleibt

 

20.2.15

 

Der du nichts vermagst

 

Blick in die Welt, du wirst sie

finden als eine, wie du sie dir nicht

wünschst, es sind die alten Gebrechen,

unheilbar erkrankt schleppt sie sich

durch die Zeiten

 

Nicht sicher das dir zugeteilte Glück,

das kleine private, du ruderst

und kommst nicht vom Fleck, du bleibst

auf der Stelle und weißt doch,

die Ruder sind zerbrochen

 

Noch einmal willst du glauben,

deine Welt, redest du dir ein, hat ewig

Bestand, die Mauern halten, es kann

gar nicht anders sein, und der Untergang

von Rom, das sind alte Geschichten

 

16.2.15

 

Seltene Einsicht

 

Stein die Zeit, kein Gedanke

an neues Leben, wir hatten das volle Maß;

was ungelebt blieb, ersetzen uns

Illusionen aus dem TV

 

Des Lebens Rand erreicht

schon in der Mitte der Jahre, wir atmen

ohne Begierde, viel Trümmer

ins Dasein gepoltert

 

Wohin mit den Narben,

mit verdrängten Träumen; wenn dann

der letzte Stein gefallen, woran

werden wir uns erinnern

 

15.2.15

 

Ins Nichts vergehen

 

Wir sind gut vernetzt, wer

vernetzt ist, wird wahrgenommen,

immer größer aber die Distanzen

von Mensch zu Mensch,

zu uns selbst

 

Alle Hemmungen sind

abgelegt, der andere der Feind,

den es zu besiegen gilt; Gesundheit

und Schönheit kaufen wir

im Supermarkt

 

Leben mit dem Verschweigen,

dem Missdeuten, dem Glücksersatz;

Geborgenheit nur auf Kredit,

verloren, wie wir sind, spüren wir

unsere Verluste nicht mehr

 

Wir schnappen nach Luft,

wir Fische im Netz; die vor uns

waren auf der Suche nach dem Glück

menschlichen Daseins und Friedens,

wie’s aussieht, vergebens

 

13.2.15

 

Schöne Aussicht

 

Unser Aufenthalt in der Zeit

ist vergänglich, die uns bemessenen

Tage schmelzen dahin wie Schnee

im Frühjahr, wenn der Planet Erde

der Sonne sein frierendes Antlitz

zuwendet und die Amseln

erste Gesänge probieren

 

Schwer zu begreifen;

unsere Einmaligkeit erhofft sich

Unsterblichkeit, unsere

Hinterlassenschaften beweisen

vielfaches Gegenteil, die Mauern

von Troja sind längst gestürzt, klaglos

wird auch Manhattan versinken

 

Was geboren, wird Rauch,

allmählich verglüht unter den

Sonnen, unsere Verse verstauben

im digitalen Archiv, die nach uns

kommen, belächeln uns; da ist

kaum Hoffen, unbekannt,

namenlos gehen wir

 

10.2.15

 

Vor den Wintern

 

Jahre blicken uns an

unser das fremde Gesicht im Spiegel

wir können es nicht verleugnen

allmählich begreifen wir uns, wir

ahnen, was sein wird

 

Zurück träumen wir uns

zurück in die Kindheit, als alles

rein war und alles leicht, und auch die

langen Sommer, alles war Glanz

alles war Spiel

 

Das schöne Damals

zerstoben wie der Traum am Morgen

Nun kommen die großen Winter

mit ihren Frösten, nicht vorstellbar,  

dass wir gemeint

 

8.2.15

 

Kein Anfang noch Ende

 

Januar, und wir im

Dreitageschnee mit der schwarzen

Sonne auf Dächern, in Straßen

in den Gesichtern kein Leuchten

nicht bis ins Ungezählte

 

Wir bewegen uns, betreten

Räume unendlichen Maßes, wir

Unwissenden, die mit dem Weltall

spielen, und es schweigt, nur

die Planeten rotieren

 

Die wir nichts vermögen

wir sind nur Zeugen von Zeit

die dahingeht, in Nächten, an Tagen

sie geht in die Morgen ein

wir ersehnen uns Träume

 

Wieder der Januar, wieder ein

Jahr, wieder bloß Hoffen auf das

Ende von Kriegen, ins Weiße

des Januarschnees stürzen wir und

des ungeschriebenen Jahrs

 

7.2.15

 

So immer

 

Immer die Sommer

die großen Himmel, die einsamen

Regen des Nachmittags

 

Immer die Angst vor den

Morgen, die dich nicht verschonen,

ach, die Sorgen der Frühe

 

Immer die Verwüstungen

die falschen Worte, das Feuer, das Wasser,

die Luft und der Schlaf

 

Und immer die Trauer

schwarz wie die Nächte im Herbst, und

der Winter kommt bald

 

4.2.15

 

In gewissen Nächten

 

agieren die Toten,

du fasst das Dunkel mit Händen,

und du spürst dein Nichtsein

in solchen Nächten, etwas wie

Rausch, unverhofft,

drängt sich in die Gedanken

 

Nächte aus Bildern der Kindheit,

aus Fernsehmeldungen,

halbvergessenen Gesichtern

und Schmerz über Versäumtes

wollen nicht enden, du fragst

was weißt du von dir

 

24.1.15

 

Lob der Erfolglosigkeit

 

Wir, die Nachtwelt, die unwissend

Geborenen, die von Misshelligkeiten

Verschonten, wir sollten es besser haben,

wir lernten es nicht, werden es lernen

erst mit den Unglücken

 

Unser schwacher, gelähmter Leib

spielt mit den Süchten des Vergebens,

wir befinden uns bei bester Atemlosigkeit,

und ob wir schweigen oder reden, wir reden

von unseren Albträumen

 

20.1.15

 

Verse von Zeit

 

Nun, da die Menschheitsliebe verloren,

verlieren wir auch die Zeit, das Vermächtnis

zu kostbar, das die Mütter uns ließen

ihre und unsere Zeit

 

Sie flieht uns, sie hat keinen Anfang,

kein Ende, kennt nicht den Schmerz

des Vergehens, unser Verweilen ist kürzer

als der Gedanke an sie

 

Nie hatten wir Zeit, doch nun,

da die Verheißung des Lichts eine Schimäre,

nun, da wir uns seufzend selbst verlassen,

sind wir die Kinder der Zeit

 

17.1.15

 

Intermezzo

 

Nachts, wenn die Rosen blühen,

quälen den Schläfer die Schatten

des Tages, nachts ergibt sich

die Kreatur ihrer Wehrlosigkeit

 

Falter bevölkern den Traum,

der Mensch auf seiner Insel,

die nicht endenden Rätsel der Erde

erobern verschlossene Türen

 

Körperlos brechen sie ein

in den Schlaf des Menschen,

in die Träume von Schuldlosigkeit,

nachts, wenn die Rosen blühen

 

16.1.15

 

Nachtvisite

 

Nachts kommen die Toten

die lang Vergessenen, ihre jungen

Gesichter, das ernste Lächeln, mit dem

sie deinen Schlaf erobern

 

Was geschah, geschieht neu

auf wunderliche Weise, anders, als ins

Buch des Erinnerns eingeschrieben

du spürst ihren Hauch

 

Eintreten sie in die Lautlosigkeit

deines langsamen Sterbens, sie wissen:

auch du; du wirst ihnen gleichen

vielleicht schon am Morgen

 

15.1.15

 

Hilflos

 

Wir schwimmen durch Tränen, kein

Ende des Meers, schlecht schwimmt es sich

mit gefesselten Händen, und kein

Zauberspruch, der uns rettet

 

Kann sein, das Meer ist zu groß

unsere Blindheit schwärzt den Horizont

unsere Lippen bluten, wir haben uns

aufs Flüstern verständigt

 

Über den Köpfen der Vogel Albatros

er weist uns den Weg zu den Ufern, wir

scheuen sie, wissen nicht, welche

Gefahren dort lauern

 

Dies ist die Lage, wir schwimmen

durch Tränen, unsere Leiber beben, wir sind

in starker Hoffnung, irgendwo muss es

doch eine Sandbank geben

 

13.1.15

 

Zufällige Einsicht

 

Die Schaufensterscheibe lügt,

die Fremde bin nicht ich, die mich da

anblickt: die Brille, die Brauen,

die Stirn gefurcht, die Gestalt

breiter als damals

 

Offen das Verhüllte, das nie

Wahrgenommene, das meine Erde

betrat wie Feuer, wie Luft, ich habe

kein zweites Leben, vergaß,

dass der Leib dem Tode geweiht  

 

Ich höre die Stimme der Jahre;

traurig gehe ich durch Straßen,

die mich vergessen werden, ich weiß,

die Spur meiner Schritte wäscht

der nächste Regen ab

 

10.1.15

 

Stundengedicht

 

Dies die seltene Stunde

des Verweilens. Glücklich vergräbst

du dich in durchsichtige Stille, verstrickst dich

in ein Gespräch mit dir selbst.

Du fühlst dich wohl in dem Kokon

aus Wunsch und Wirklichkeit,

du diktierst der Nachwelt dein Testament,

dir steht ein Urteil zu. Vom Leben

enthauptet, verliebt ins Erinnern, in Phantasmen,

erkennst du dich selber doch nie.

Und bleibt nur die Stunde.

 

20.12.14

 

Irgendwie menschlich

 

Wir reden viel zu viel, meist über gar nichts.

Da staut sich irgendwas, das muss jetzt raus!

Man reißt den Schnabel auf, hofft auf Applaus

von wegen seines innern Gleichgewichts.

 

Wir sind aufs viele Reden schwer erpicht,

begeistern uns wie wild an dem Erguss

und wissen selber doch, es ist bloß Stuss.

Egal, wir sind gemacht fürs Rampenlicht.

 

Es klingt so schön, wir hören selbst uns zu,

sind auch noch ausgesprochen sattelfest,

wenn schon der letzte Hörer uns verlässt.

Doch schweigen - nein, das ist für uns tabu.

 

29.8.14

 

Der kleine Überfluss

 

Als blasser Underdog hat man's nicht leicht.

Was Mitleid heißt, das hat die Welt vergessen

und meint, dem Kerl ist das doch angemessen.

Dir folgt das Pech, bist matt und ausgebleicht.

 

Ein Stückchen Glück, das hätte dir gereicht.

Du hast dir noch kein Bäuchlein angefressen,

liegt wohl auch kaum im eigenen Ermessen,

du bist auf Schmalhans' Küche doch geeicht.

 

Den kleinen Überfluss, für den man lebt,

auch wenn er ständig dir vor Augen schwebt,

den kannst du dir beileibe niemals leisten.

 

Du trägst dein Etikett wie angeklebt,

dein Leben lang hast du umsonst gestrebt.

Doch geht wie dir es nicht den allermeisten?

 

16.8.14

 

Die eine und die andre Hälfte

 

Man trägt zwei Seelen doch in seinem Leibe

und zerrt an seinem armen Herzen rum,

auf dass man menschlich in Balance bleibe,

im Grunde findet's man nicht gar so dumm.

 

Man zeigt ganz stolz die Schokoladenseite,

die Schattenseite zeigt man lieber nicht.

Das andre Ich treibt ständig in die Pleite,

es hat so was von leichtem Schwergewicht.

 

Halb ist man stiller Dulder und halb Drachen.

So macht man alles halb, was man doch liebt.

Und halb bedauert man, halb will man lachen -

dass es das Glück im Ganzen niemals gibt.

 

11.5.14

 

Familienalbum

 

Wie lebt man nur damit, wenn jene Zeit

nur Fotos übriglässt von einem Leben

und nichts sonst bleibt von der Vergangenheit?

Es muss doch da noch irgend etwas geben.

 

Da sitzt ein Nackedei auf seinem Topf:

Das liebe Ottchen mit nur einem Jahre.

Und man entsinnt sich an den Brabbelkopf:

Auch Onkel Otto hatte einmal Haare.

 

Man wälzt Familienalben, viel zu schwer,

und sucht nach ungewissen Ähnlichkeiten.

Begreift nicht gleich, zumeist erst hinterher:

Jaja, das waren damals ernste Zeiten.

 

Was bleibt, ist nur noch Foto-Silhouette.

Man schlägt das dicke Album seufzend zu.

Und sieht sich selbst als Glied nur in der Kette,

ein Stimmchen bloß fürs Lebensinterview.

 

6.7.14

 

Sinkender Horizont

 

Ohnmacht des späten Tags.

Hinter den Häusern, unterm sinkenden

Horizont, zersplittert das Licht.

 

Schatten lautloser Schritte.

Die Nacht stürzt, Erdenkühle in Armen,

auf des Molochs Dächer. Ich sah

einen blinden Mann, er trug eine tote Taube

in Händen voll Schmerz.

 

Fern, so fern die Stimmen der Sterne.

Schicksal kündend, nie frage ich sie nach

Kommendem. Immer die Klage,

immer das Salz der Ängste.

 

Ein Feuer schleudert Funken.

Dort verbrennen sie das ungelesene

Buch der Träume.

 

25.6.14

 

Betrogen

 

Vertraut wie die eigene Haut

ist uns der Gleichmut der Welt, Sichfügen

in die Unvermeidlichkeit scheint uns

der einzige Ausweg.

 

Unbemerkt stirbt uns das Leben, nicht

erinnern können wir uns ans Gestern. Nur dieses

Ungewisse, das wir nicht benennen wollen

und das wir, vielleicht, in unseren Träumen

zutreffend Lebensgier nennen.

 

Wir raffen, was vom Tische fällt.

In unserer Narrheit, die grenzenlos ist,

glauben wir uns beschenkt. Und wissen es doch:

Für uns, was übrigbleibt, wir gehören

zum Inventar.

 

17.6.14

 

Erkenntnis

 

Als die Tage auf Flügeln kamen,

wir nicht wussten, dass Leben das Leben

kosten kann, als wir dachten, für uns

gäbe es nie ein Ende – damals,

wie jung wir waren.

 

Wir lernten. Das andere Dasein brachte

uns einiges bei, doch mehr, als wir

lernen konnten, vergaßen wir. Die Bäume

wurden zu Schatten, geeignet,

den hohen Mut abzukühlen.

 

Unsere Hände sind leer. Wo der Himmel

aufhört, sprechen wir in nie gehörten Sprachen,

nicht kompatibel. Und selbst Kriege schrecken

uns nicht, wir setzen aufs Hoffen,

wir lassen beten.

 

29.5.14

 

Von kleinen und größeren Träumen

 

Ein Mensch mit Träumen hat es nicht so leicht.

Schwer sonnambul, ein seltnes Exemplar –

man kennt die Reden hier und da vielleicht.

Und meistens sind sie nicht mehr abwaschbar.

 

Der eine träumt vom kleinen Hauptgewinn,

der andere von einer lieben Kinderschar.

Das liegt dem Menschen in der Seele drin.

Er spricht nicht drüber: Keinen Kommentar!

 

Wenn einer gar noch größre Träume hat,

davon Reklame macht, laut davon spricht,

sich aufführt wie der neue Goliath –

sei sicher: Dessen Dach ist nicht ganz dicht.

 

Und doch: Was wär das Leben ohne Traum?

So einen, der das Kämpfen für ihn lohnt?

Man lebte halb nur, wie im Zwischenraum.

Mal ungeschminkt: Man lebte auf dem Mond.

 

23.5.14

 

Mittelmaß-Sonett

 

Die Vorsicht rät uns: Nur nichts übertreiben!

Viel schöner sei es doch, man ist bescheiden.

Man sollte jedes Übermaß vermeiden

und tunlichst auf dem kleinen Teppich bleiben.

 

Die Mitwelt wird uns tüchtig dafür loben,

auch sie verabscheut herzlich alles Große,

das irgendwo noch schläft im Erdenschoße.

Und ehrlich: Wer lebt gerne abgehoben?

 

Viel wärmer lebt es sich doch in der Herde,

beim trauten Blöken fühlt man sich zu Hause,

da ist man nur ein Schäflein unter Schafen.

 

Man spart sich jede menschliche Gebärde,

und fühlt sich schäflich wohl so als Banause,

man ist daheim, jetzt kann man ruhig schlafen.

 

6.4.14

 

Die Vorfahrin

 

Die alten Augen sehen nicht mehr gut,

das Buch, es liegt so schwer in ihrer Hand.

Sie liest mit einer stillen Wissensglut,

als wäre jedes Wort fest eingebrannt.

 

Wie dieses Lächeln das Gesicht verschönt,

darüber nicht der kleinste Schatten fällt.

Wohl niemals hat das Leben sie verwöhnt,

sie trug nicht leicht an ihrer Frauenwelt.

 

Ein altes Foto, das ich kürzlich fand,

das weder Namen noch den Ort verrät.

Ganz sicher ist die Frau mit mir verwandt,

mehr zu erfahren ist es jetzt zu spät.

 

Von ihr blieb nichts als das vergilbte Bild.

Gern wüsste ich, wer sie gewesen ist,

mein Suchen aber, das bleibt ungestillt.

Ein wenig, glaub ich, hätt ich sie vermisst.

 

15.3.14

 

Gefesselt

 

Man kann nicht immer, wie man wollen will,

mit tausend Stricken ist man festgebunden.

Du rüttelst dran, wirst aber mäuschenstill,

sofern du dich nur lang genug geschunden.

 

Zu fest die Stricke, sagst du dir sodann,

du siehst es ein und dämpfst die Aversionen.

Beileibe kommt man nicht dagegen an!

Denn das sind Träume nur, sind Illusionen.

 

Du labst am Scheine dich, an Freiheitsdüften.

Und wärest doch so gern von Fesseln frei,

dem stolzen Adler gleich, hoch in den Lüften,

doch ist das bestenfalls nur Träumerei.

 

20.2.14

 

Dem Zaghaften auf den Weg

 

Das Unsagbare sagen, nicht mehr schweigen,

du raffst dich auf, erhebst dich notgedrungen,

noch weißt du nicht, wohin sich Träume neigen,

du spürst es nur: Du hast dich durchgerungen.

 

Du siehst dich um, du siehst die Falschheit blühen

und stehst allein auf weiter Flur im Dunkeln,

mit stillem Zorn sahst du die Freunde fliehen,

die Dummen hörst du was von Freiheit munkeln.

 

Du spürst den Hass in jeder ihrer Taten,

begreifst, dass dumpfe Ohnmacht sie verbindet,

siehst sie durch Schlamm und Lügen waten -

doch dein der Stern, der wahre Freiheit kündet.

 

Folg deinem Stern und lass dich nicht beirren,

nicht leicht dein Weg, die Furcht ist stets zugegen.

Und wenn Geheul und Unrat dich umschwirren,

dann sage dir: Darum, deshalb, deswegen!

 

2.1.14

 

Seltsam, sagst du

 

Wie dünn der Schleier mancher Tage ist.

Nichts bleibt verborgen, alles drängt ans Licht.

Welch Klarheit zeigt des Diesseits Angesicht.

Du lachst: Und einst warst du der Fatalist!

 

Beglückt vom Seltsam dieser neuen Tage,

erwacht Begierde nach der ganzen Fülle.

Dein Irdischsein ist dir nicht bloße Hülle,

es neigt zum Leben sich die Seelenwaage.

 

Entdeckst, was Lieben dir noch bieten kann.

Wie brüderlich, ein wahrer Frühlingshauch,

erscheint der nächste Mitmensch dir jetzt auch.

Nun denn, das Glück treibt stetig dich voran.

 

17.12.12/2.5.14

 

Privat vor Staat

 

Als Angestellter denkt man auch privat.

Nur nebenbei, das wird ja nicht bezahlt,

da wird verdammt noch mal nicht rumgeaalt,

da bringt man was fürs Geld, ganz akkurat.

 

Er sitzt am Schreibtisch und hat viel zu tun.

Er ist ganz Ohr, in voller Wachsamkeit,

Papiere griffbereit, falls da wer reinschneit.

Er ist auf Draht, er ist kein dummes Huhn.

 

Ihm geht da einiges so durch den Kopf:

Nein, gestern abend hat er was verpennt.

Dass der sich auch noch Intelljenzler nennt!

Und am Jackett, da fehlte dem ein Knopf!

 

Was der schon tönte! Haut bloß auf den Putz!

Ein Wunder, was man so als Mensch erträgt.

Und doch, ein Abend, der ganz angeregt.

Obwohl – das stank ja schon vor Eigennutz.

 

Er sinnt, bis er erschrickt – die Tür geht auf.

Der Chef persönlich, scharf der Adlerblick.

Der Angestellte hat mal wieder Glück:

Privat vor Staat, das hat er schließlich drauf.

 

25.4.14

 

Die Fettnäpfchen des Lebens

 

Im Leben tritt der Mensch in manches rein,

den Rosenzüchter- und den Sportverein -

er will dabeisein, immer vorneweg,

er kümmert sich partout um jeden Dreck.

Und kein Verein, der ihm dafür zu klein.

 

Er weiß genau, was grad der Nachbar macht,

sei es bei Tage, sei es in der Nacht -

moralisch misst er jeden Hammerschlag,

nimmt seinerseits den Hammer in Beschlag.

Er schimpft von morgens früh bis spät um acht.

 

Wohin er sieht, der Ärger wartet schon,

begreift auf einen Blick die Kollision.

Kein Mensch ist gegen solches je gefeit,

den Humbug kennt er schon seit Kinderzeit.

Doch jetzt vergeht ihm jede Illusion.

 

Im Leben tritt der Mensch in manches rein,

den Rosenzüchter- und den Sportverein.

Ihm hat das Leben tüchtig mitgespielt -

verantwortlich, wie er sich nun mal fühlt.

Wie wahr, er tritt in jeden Fettnapf rein.

 

18.4.14

 

Verflogene Illusionen

 

Wir greifen nach den glitzerbunten Scherben,

die unsre eigne Blässe so schön färben.

Was wir genannt das Glück, das ist zerbrochen,

wir gieren nach den Resten, die noch blieben,

eh sie zu Staub und Pulver bloß zerstieben,

begnügen uns mit abgenagten Knochen.

 

Wir wissen doch: Was soll denn alles Klagen?

Es hilft doch nichts in diesen rauen Tagen.

Recht schnell wird unsereins doch recht bescheiden,

verzichtet schon mal auf den Stolz, zu leben.

Dem Anschein haben wir uns hingegeben

und uns gewöhnt ans Darben und ans Leiden.

 

Sehr spärlich, man erinnert sich mit Tränen,

geschieht's, dass wir Verlorenes erwähnen.

So manchem ist das nur ein Grund zum Grämen,

dem anderen auch mal ein Grund zum Lachen,

das kommt vom Große-Illusionen-Machen.

Wer wollte sich der bunten Scherben schämen.

 

26.3.14

 

Nach Mitternacht

 

Ganz anlasslos wird es auf einmal still,

die letzten Lichter zittern durch die Nacht.

Nur eine Bahn kreischt in der Kurve schrill.

Für heute hat der Tag nun Schluss gemacht.

 

Man gibt erschöpft sich hin dem Augenblick,

kein Hoffen auf den Tag, der folgen wird,

und ist da sicher: Der bringt nicht das Glück,

das einem öfter durch die Träume schwirrt.

 

Mit diesem Tage ist man endlich quitt.

Wie weltverlassen bellt ein armer Hund.

Wer Mensch geblieben, leidet mit ihm mit,

die eigne Seele ist ja selbst so wund.

 

Jetzt gehen Haus für Haus die Lichter aus.

Sehr einsam ist, wer noch voll Sorgen wacht.

Verstummt des Tages Lärmen und Gebraus.

Als könnte nichts passieren, schweigt die Nacht.

 

16.3.14

 

Wir Trümmerkinder

 

Ich denke mir, ich bin zu früh geboren.

Was wusste ich von dieser Welt, dem Kriege,

ich lag noch eingewindelt in der Wiege.

Die falsche Zeit, die ich mir auserkoren.

 

Man kann in seinem Leben viel vergessen,

die Bombennächte aber sind geblieben,

ins kindliche Gedächtnis eingeschrieben.

Was sonst geschah, das waren Petitessen.

 

Wir spielten unbeschwert in den Ruinen.

Es war die Welt, die uns der Krieg geboten,

die Welt der Häusertrümmer und der Toten.

Sie lachte nicht, sie schien uns anzugrienen.

 

Dass nicht vergessen wird, wie wir mal waren,

mit unserm Kohldampf, unsern Alltagssorgen,

der Unbekümmertheit, dem Gruß ans Morgen -

wir Trümmerkinder in den Nachkriegsjahren.

 

16.2.14

 

Sisyphos

 

Das schönste Wollen welkt doch mit der Zeit.

Du Träumer hast das viel zu oft erfahren:

Du denkst, jetzt endlich ist es mal soweit –

da kriegt die Wirklichkeit dich bei den Haaren.

 

Du ärgerst dich und fängst von vorne an.

Ach, sagst du dir, jetzt unbekannt verreisen!

Es hilft bloß nichts, du bleibst gehorsam dran,

du willst es dir (nur einmal noch!) beweisen.

 

Du gehst aufs neu ans Werk, voll Zuversicht,

probierst es jetzt mit einer Variante.

So bleibst du eingespannt in deine Pflicht,

und die Adresse bleibt die altbekannte.

 

Du stotterst nach und nach dein Pensum ab

und träumst von einer kleinen Dividende.

So geht es weiter bis ans kühle Grab:

Du siehst den Anfang nur und nie das Ende.

 

18.2.14

 

Das schlechte Gewissen

 

Was man vergessen will, vergisst man nicht.

Die Bilder steigen auf, sie kommen wieder,

ein Frösteln läuft dir über deine Glieder.

Was war, bekommt nun wieder ein Gesicht.

 

Du ringst erbittert um dein Gleichgewicht,

der Boden schwankt, du selbst bist dir zuwider.

Der Mut, den du mal hattest, liegt danieder,

verkrampft beschwichtigst du die Innensicht.

 

Das ist ein Kampf nur mit der eignen Seele,

du bist dir dessen plötzlich sehr bewusst:

Die Bilder sind gestorben, bloße Schemen.

 

Und kennst du nicht so manche Parallele?

Die Not befahl's, man hat nun mal gemusst!

Und schnell bist du mit dir im Einvernehmen.

 

1.3.14

 

Mitte Vierzig

 

Was sich das Leben so mit dir erlaubt,

das weißt du um die Mitte Vierzig rum.

Die schönsten Träume hat es dir geraubt,

genannt des Menschen Daseinspraktikum.

 

Da sind die Kinder und der Mann perdü.

Ganz gut spürst du, was du zu schultern hast,

du rackerst ganztags und hast viel zu früh

die erste graue Strähne abgefasst.

 

Du weißt, du hattest eine Menge Glück:

ein fester Job und halbwegs gut entlohnt.

Die Jungen aber sind dein Meisterstück,

das hat sogar der Spartenchef betont.

 

Die Nachbarsblicke nimmst du gern in Kauf.

Du könntest eigentlich ganz glücklich sein,

dein Leben nimmt den eingespielten Lauf.

Bloß, im Moment fühlst du dich sehr allein.

 

In deinen Nächten ständig dieser Traum:

Da bist du Frau, da bist du, die du bist.

Am Tage, nein, da denkst du daran kaum.

Ist lange her, dass einer dich geküsst.

 

Für dich die schwarzen Tasten vom Klavier.

Mit Mitte Vierzig bist du dir schon klar:

Zwei Drittel Leben hast du hinter dir.

Und ja, es war vielleicht ganz annehmbar.

 

9.2.14

 

Treppentratsch

 

Des Menschen Leben wär ein Kinderspiel,

gäb es die Leute nicht mit ihrem Klatsch,

die wissen rein von allem viel zu viel.

Nun ja, davon die Hälfte ist bloß Quatsch.

 

Der soll ja bei den Anarchisten sein!

Und die hat krumme Beene, sieht man doch.

Und der Duweeßtschon ist ein dummes Schwein,

der pfeift jetzt bloß noch auf dem letzten Loch!

 

Halbierte man für sich den ganzen Klatsch,

dann wüsste man, der Kerl ist Bigamist,

die krummen Beene sind gequirlter Quatsch,

und der Duweeßtschon ist der Herr Flötist.

 

So renkt sich friedlich alles wieder ein.

Doch leider interessiert die andre Hälfte nicht,

gern fällt ein jeder auf den Schein herein.

Denn Tratschen ist die erste Bürgerpflicht.

 

4.2.14

 

Duzer und Siezer

 

Zu manchen Leuten sagt man lieber Sie.

Das Du bleibt guten Freunden vorbehalten,

von Anfang an stimmt da gleich die Chemie.

Das Sie gehört den höheren Gewalten.

 

Ich wünschte mir das Sie im Internet,

dann brauchte man wohl keine Netiquette.

Statt Säbel nähme man dann das Florett

und statt des Vorschlaghammers die Pinzette.

 

Wie höflich klingt auf Sie ein Nebensatz,

der, nicht ganz stubenrein, vielleicht gefallen.

Man ist fein raus, vermeidet so Rabatz,

mit Glück wird er wie ungesagt verhallen.

 

Es hat das Sie mich etwas auch gelehrt:

So bleibt man höflich doch in jeder Lage.

Denn auch ein Raubein fühlt sich "sehr geehrt",

hört's doch das Sie gewiss nicht alle Tage.

 

Selbstgespräch

 

Wie müd kann man vom Schauspiel Leben sein,

von dieser Herbstestrauer in den Gliedern.

Nein, nichts Konkretes, nur ganz allgemein,

würd ich, befragt, vielleicht genervt erwidern.

 

Probiert es nur, ihr kommt nicht aus der Haut,

die ihr am Leibe tragt seit Kindertagen.

Man ist sich selbst am besten doch vertraut,

ein Leben lang muss man sich damit plagen.

 

Was mir jetzt fehlt? Ein bisschen Sonnenschein.

Der kostet nichts, den kann man nicht bezahlen.

Jetzt, wo ich grüble, fällt mir plötzlich ein:

Man müsste sich die Sonne selber malen.

 

17.1.14

 

Nicht Fisch, nicht Fleisch

 

Es lebt sich besser, meinst du, nach der Norm?

Nach der geborgten Norm und nicht nach deiner?

Ach, und du wärest doch so gern konform?

Das steht dir nicht, mach dich nicht kleiner.

 

Wie traurig deine innre Lampe strahlt.

Nur ein Moment noch, und sie ist erloschen.

Das Stillehalten macht sich nicht bezahlt –

hm, ich weiß, klingt ein wenig abgedroschen.

 

Du meinst, du fingst dein Leben anders an,

gäb es die Chance nur für ein zweites Leben.

Dass man sich selber nie vergessen kann -

erst dann, wenn man den Löffel abgegeben.

 

6.2.14

 

Der Traum vom Geld

 

Die Post von heute, brrh! es ist zum Brechen:

Ihr Konto tief im Minus, schreibt die Bank.

Die halten nur die Hand auf: Bitte blechen!

Das macht auf Dauer doch den Menschen krank.

 

Das liebe Geld. Mehr musst du ja nicht sagen.

Ganz sonnenklar, wohin du blickst, es fehlt.

Mit Rührung sprichst du gern von jenen Tagen,

als du die Scheine bloß so hingezählt.

 

Ach ja, du müsstest mal ganz groß gewinnen.

Ein paar Millionen, dass es länger reicht.

Doch leider, es bleibt immer nur beim Spinnen,

schon jahrelang bist du darauf geeicht.

 

Verflixt, so kann es doch nicht weitergehen!

(Das mit dem Gashahn lässt du lieber sein).

Und du bedenkst, das kann ja jeder sehen:

Du bleibst auf ewig bloß das arme Schwein.

 

13.1.14

 

Mutanten

 

Wir haben doch nur diese eine Zeit,

dies Leben, ungewollt und unbekannt.

Und uns, den Kinder der Genügsamkeit,

hat sich das Stilleschweigen eingebrannt.

Das Leid der andern kann uns nicht berühren,

es reicht, was wir am eignen Leib verspüren.

 

Verblüht sind wir und waren niemals jung,

wir fragten niemals nach des Daseins Sinn.

Wir leben hin für uns ganz ohne Schwung,

das nackte Leben schon ist uns Gewinn.

Wir wissen es, dass sie uns massakrieren -

doch bleibt uns nur ein stilles Akzeptieren.

 

In dieser Welt des Schweigens und des Nichts,

wo jedes Widerwort als Aufruhr gilt,

zerrt man uns vor die Schranken des Gerichts,

bleibt jeder Traum von Freiheit ungestillt.

Wir schweigen, müssen uns darein bescheiden.

Sind wir geboren für den Tod, zum Leiden?

 

10.1.14

 

Das Napoleonische im Menschen

 

So als Genie hat man es immer leichter,

man ruft nicht: „Hier!“, ist einfach nur präsent.

Man steht dick da und gibt das Monument.

Bloß die Elogen werden immer seichter.

 

Der schlichte Mensch muss täglich racksen,

dass er vom Segen auch ein Häppchen kriegt.

Doch stets hat ihm sein Anteil nicht genügt,

von Geld und Ehre sieht er bloß die Haxen.

 

Schön wär es ja. Mal den Genieprotz spielen.

Auch wenn man’s gar nicht ist. Ist doch klar.

Man wäre einfach nicht mehr austauschbar

und dürfte sich wie Gott in Frankreich fühlen.

 

Wie man sich's schöner gar nicht träumen könnte.

Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schlapp.

Auch mit dem Geist wird es jetzt hierorts knapp.

Der ist in Deutschland lange schon in Rente.

 

22.6.13

 

Jesus, meine Höflichkeit

 

Wer einst die Höflichkeit erfunden hat,

war Jesus, steht doch in der Bibel drin:

„Haust du mir auf die Backe, halt ich glatt

dir auch noch gleich die andre Backe hin!“

 

Vergiss die Höflichkeit dabei nicht gleich,

sag: „Bitte sehr! Bediene dich, mein Bester!“

Verbuchst du als dein Plus fürs Himmelreich.

Der andre haut dann auch ein bisschen fester.

 

An diesem Beispiel kann man gut studieren,

wie vorteilhaft die Höflichkeit doch ist.

Wohl keiner braucht sich deshalb zu genieren.

Und notfalls wird er eben Masochist.

 

24.5.13

 

Dem Zaghaften auf den Weg

 

Das Unsagbare sagen, nicht mehr schweigen,

du raffst dich auf, erhebst dich notgedrungen,

noch weißt du nicht, wohin sich Träume neigen,

du spürst es nur: Du hast dich durchgerungen.

 

Du siehst dich um, du siehst die Falschheit blühen

und stehst allein auf weiter Flur im Dunkeln,

mit stillem Zorn sahst du die Freunde fliehen,

die Dummen hörst du was von Freiheit munkeln.

 

Du spürst den Hass in jeder ihrer Taten,

begreifst, dass dumpfe Ohnmacht sie verbindet,

siehst sie durch Schlamm und Lügen waten -

doch dein der Stern, der wahre Freiheit kündet.

 

So folge ihm und lass dich nicht beirren,

nicht leicht dein Weg, die Furcht ist stets zugegen.

Und wenn Geheul und Unrat dich umschwirren,

dann sage dir: Darum, deshalb, deswegen!

 

2.1.14

 

Ein seltener Abend

 

Vom Center flimmert das Reklamelicht,

die Straße kommt dir vor wie leergefegt,

nur irgendwo, dass eine Haustür schlägt.

Die Stille schiebt heut eine Sonderschicht.

 

Vom Nebenmieter hörst du nur Geraune,

sogar sein Hund hat heute Sendepause.

Bemerkenswert in diesem lauten Hause,

das hebt und steigert deine Abendlaune.

 

Du hörst der Stille zu und repetierst,

was dir am Tage auf die Leber drückte,

auch was dich ausnahmsweise mal beglückte.

Ein Spiel, das du gelassen absolvierst.

 

Du denkst, wie still der Abend heute ist.

Du traust dem Frieden nur, solang er währt,

und sehnlich hoffst du, dass er wiederkehrt.

Du bist und bleibst nun mal ein Optimist.

 

13.10.13

 

Katerstimmung

 

Zuweilen möchte man ein andrer sein

Und stiege gern aus seiner eignen Haut.

Den Weg hinaus hat man sich selbst verbaut,

man resigniert, verlässt sich auf den Schein.

 

Man müsste. Oder nein, doch lieber nicht.

Am besten ist es wohl, es ganz zu lassen.

Man ärgert sich, beginnt sich selbst zu hassen.

Dann liegt sie rum, die ungeliebte Pflicht.

 

Zuweilen, ach, man möchte ja zuweilen.

Der Anfang nur, der ist so schwer zu finden.

Das halbe Leben kann so tatenlos enteilen,

besteht dann bloß aus Unterlassungssünden.

 

Man siehts ja ein, man ist ein loser Kunde

und liebt nun mal die eingefahrnen Gleise.

Und dann gesteht man sich zu stiller Stunde:

Ein andrer wird man nie auf diese Weise.

 

30.9.13

 

Jetztmensch

 

Nur diese Zeit, du warst hineingeboren,

du hattest niemals irgendeine Wahl,

warst nackten Leibs, du schriest und hast gefroren,

schon jetzt erschien das Leben dir als Qual.

Du fühltest dich im Weltenraum verloren,

du fluchtest deinem Dasein und den Horen,

als Vieh, so sahst du dich, in dem Korral,

das Leid erschien dir als dein Muttermal.

Nur diese Zeit.

 

Versuchtest, durchzukommen ungeschoren,

doch der Erfolg blieb meistens minimal.

Dann hast du dir zum Lebensziel erkoren

ein kleines angepasstes Ideal

und es mit deinem Herzensblut beschworen.

Nur diese Zeit.

 

11.12.13

 

Am Abgrund

 

Die Welt, wie unerklärlich sie dir scheint,

verstrickt sich oft in Widerspruch und Lüge.

Und du, mein Freund, bist ganz allein gemeint.

 

Es sang dir niemand einst an deiner Wiege,

dass diese Zeit, die du dein Leben heißt,

das Opfer wird der großen Pyrrhussiege.

 

Das Gran Vernunft stiehlt man dir dreist,

das Restchen Seele schwindet über Nacht,

du fühlst vom Irrsinn dich nur eingekreist.

 

Die Welt, wie unerklärlich sie dir scheint.

Und harmlos hast du dich mal aufgemacht,

ein Nest zu bauen, das man sicher meint.

Du ahnst: Du hast dir etwas vorgemacht.

 

25.11.13

 

Die komplizierte Frau

 

Als Frau hat man zu Hause seine Pflichten.

Der Haushalt ruft. Jaja, ich komm ja schon!

Viel Freude macht der ganze Spaß mitnichten,

es ist bloß nur, weil ich nun mal hier wohn.

 

Das bisschen Liebe – darauf ist gepfiffen.

Die Männer wechselten von Jahr zu Jahr,

denn wer mit Anstand konnte, hat gekniffen,

und heute ist das alles nicht mehr wahr.

 

Ich bin nicht pflegeleicht, bin komplizierter,

war meinen Männern immer zu gescheit.

Stand später dann vor mir ein Annullierter,

zerfloss er schier vor Liebenswürdigkeit.


Ich könnte mir was Wunderschönes denken,

hätt ich das Kleingeld bloß im Portmonee.

Was ich vermiss, das kann mir keiner schenken,

kein neuer Mann und keine gute Fee.

 

Den Zipfel Welt (sie liegt mir nicht zu Füßen),

mehr will ich nicht. Nicht jeden Tag das Grau,

nicht ständig für mein holdes Weibsein büßen.

So sieht sie aus, die komplizierte Frau.

 

15.11.13

 

Der Alte

 

Ja, manchmal findest du es angenehm,

dass du nicht mehr der Jüngste bist.

Du lebst so hin für dich, nun meist bequem.

Auch wenn du schon mal was vergisst.

 

Und öfter denkst du, wie es einmal war.

Voll Sehnsucht blickst du jetzt zurück,

kommst mit verschiednen Dingen selten klar,

wenn du’s noch bringst, dann hast du Glück.

 

Du bist von gestern mit der Nostalgie –

wer noch die Sehnsucht kennt, ist out.

Du hast nichts drauf mehr auf der Batterie

und kommst nicht aus der eignen Haut.

 

Du stehst am Fenster und siehst weise aus.

Und fragst dich: Hat es sich gelohnt?

Und gibst am Ende selbst dir den Applaus.

Bist es ja lebenslang gewohnt.

 

8.11.13

 

Der Illusionist

 

Man liebt nichts mehr als seine Illusionen,

tief müssen sie in unsern Seelen wohnen.

Und jeder glaubt, dass ohne sie kein Leben,

zu fade wär das Dasein ohne sie,

zu groß das Defizit an Phantasie,

man muss mit Illusionen sich umgeben.

 

Die raue Wirklichkeit wird angenehmer,

mit Illusionen lebt es sich bequemer.

Man kann getrost die Augen fest verschließen

vor allem, was des Menschen Herze kränkt,

gleich fühlt man sich von lieber Macht gelenkt,

erst jetzt kann man die Gegenwart genießen.

 

Doch eines Tages dann kommt das Erwachen,

wer Illusionen hat, hat nichts zu lachen.

Er fragt, warum hat er das nicht gesehen,

dass all das Schöne doch nur Lug und Trug,

mit einem Mal hat er davon genug

und wünscht, sie alle wären ungeschehen.

 

Und jetzt verflucht er seine Illusionen,

will niemanden und nichts damit verschonen.

Dass er sich selbst getäuscht, will er nicht wissen

und sucht schon jetzt nach neuer Illusion,

die des Verlustes angemessner Lohn.

Er braucht nun mal sein warmes Ruhekissen.

 

2.11.13

 

Wenn einer stirbt

 

Da stirbt der arme Mann ganz unverhofft.

Als ob man hoffen müsste auf sein Sterben –

bloß Illusionen, sonst gibt es nichts zu erben.

Passiert bei kleinen Leuten reichlich oft.

 

Der gute Mensch, dass er schon gehen musste!

Die Hinterbliebnen fangen an zu greinen.

Mit Mienen, die am Grabe fast versteinen,

verwimmert man den Tod mit viel Gehuste.

 

Nur der Kanarienvogel piept ganz heiter,

im Haus blieb keine Uhr erschrocken stehen.

Kaum jemand fragt: Wie soll es weitergehen?

Denn irgendwie geht es doch immer weiter.

 

28.9.13

 

Traum vom offenen Meer

 

Wir spüren nicht mehr das Entgleiten

des eignen Ichs, dass man sich selbst entleert.

Wir gehen stumpfer mit den Zeiten,

und keiner, der sich dessen noch erwehrt.

 

Wie wenig gelten heut noch Träume,

sie sind uns nur noch eine dumpfe Last,

eröffnen niemandem mehr Räume,

der Träumer ist uns nur noch ein Phantast.

 

Wir üben uns in großen Worten,

da ist kein Satz, der uns schon groß genug -

die Zeit der tönenden Kohorten,

die Zeit von Lüge und von Selbstbetrug.

 

Wir stehen stumm vor tausend Fragen,

kein Gott, der jemals uns die Antwort gab.

Vor uns ein ganzer See von Plagen,

das offne Meer, noch liegt es sehr weitab.

 

1.5.14

 

Mutanten

 

Wir haben doch nur diese eine Zeit,

dies Leben, ungefragt und unbekannt.

Und uns, den Kinder der Genügsamkeit,

hat sich das Stilleschweigen eingebrannt.

Das Leid der andern kann uns nicht berühren,

es reicht, was wir am eignen Leib verspüren.

 

Verblüht sind wir und waren niemals jung,

wir fragten niemals nach des Daseins Sinn.

Wir leben hin für uns ganz ohne Schwung,

das nackte Leben schon ist uns Gewinn.

Wir wissen es, dass sie uns massakrieren -

doch bleibt uns nur ein stilles Akzeptieren.

 

In dieser Welt des Schweigens und des Nichts,

wo jedes Widerwort als Aufruhr gilt,

zerrt man uns vor die Schranken des Gerichts,

bleibt jeder Traum von Freiheit ungestillt.

Wir schweigen, müssen uns darein bescheiden.

Sind wir geboren für den Tod, das Leiden?

 

10.1.14

 

So um die Siebzig

 

Noch geht's treppab mit festen Schritten -

hinauf, da fällt es dir schon etwas schwer.

Noch bist du hierorts leidlich wohlgelitten,

blickt man dir auch mal raunend hinterher.

 

Fragst dich in ungeschlafnen Nächten

wozu die Wunden taugen, die man dir schlug

in längst vergangenen Gefechten,

die Seele blutet mehr als nur genug.

 

Du hast die Muße jetzt, um nachzusinnen.

Ob noch was kommen wird, das fragst du dich.

Wie rasch siehst du dein Leben so verrinnen -

schad um die Zeit, die viel zu schnell entwich.

 

3.5.14