Reisen bildet eben doch

 

Vorausgesetzt, er hat ein bisschen Geld,

das leider, leider nicht vom Himmel fällt,

dann kommt der Deutsche ziemlich weit herum:

Er reist. Und dafür legt er sich fast krumm.

 

Gesamtdeutsch reist er durch die ganze Welt.

Die Mauer weg, die man ihm hingestellt.

Ihm blieb bloß Ungarn, was für eine Schmach!

Wobei es ihm recht oft an Geld gebrach.

 

Ist mancher heut auch klamm – der schwimmt in Geld,

heut reist und reist er um und durch die Welt.

Heut kann er reisen, und das Herze lacht,

das Reisen ist ihm eine Himmelsmacht!

 

Der Deutsche ist recht gerne ein Tourist.

Und muss es sein, ist er auch Alpinist.

Doch ach - sein Thailand, wo er neulich war!

Dort war bereits er mehrmals auffindbar.

 

Genau weiß er, wie’s auf Mallorca schmeckt,

dort hat er manches Herzchen abgeschleckt.

Der Strand ist seiner, ist doch sonnenklar!

Demnächst fliegt er bestimmt nach Miramar.

 

Nur auf Tahiti war er bisher nicht.

Steht im Kalender, echte Mannespflicht!

Muss sich mal wieder in Paris umsehn,

die Stadt ist ja so wunder-, wunderschön!

 

Paris ist unter Städten sein Olympia,

und ausnahmsweise liegt es günstig nah.

Und was das Essen angeht: Exklusiv!

Davon schwärmt er gewaltig positiv.

 

Das nimmt dem Manne keiner: Er kommt rum.

Bloß, manchmal wird’s ihm einfach doch zu dumm.

Denn fragt man ihn, was in der Welt er sah,

dann winkt er ab und sagt verschnupft: Aaa-ha!

 

10.1.17

 

Zwischenstation

 

Die Stadt war etwas klein, verschlafen.

Sogar ihr Name war mir unbekannt.

In Richtung Nord gab’s einen Hafen,

die Äppelkähne schwankten unbemannt.

 

Der See war groß, mit Himmelsbläue.

Und hinten floss er in die Große Spree.

Paar Bäume harrten drum in Treue.

Nach Augenmaß war’s ein perfekter See.

 

Im Busch der Gasthof schien zu träumen.

Die Wirtin aber, jung und flott, adrett,

vermied mir gegenüber jedes Säumen.

Im Gasthof war es wirklich nett.

 

Und draußen eine Flotte Schwäne.

Nichts los, sie schwammen bloß so hin und her.

Ich unterdrückte mein Gegähne

und fühlte mich hier beinah familiär.

 

Ein Pfiff zerriss mir die Idylle.

Der Zug! Ich hatte ihn direkt vergessen!

Der Abschied dann in aller Herrgottsstille,

man neigt hier nicht zu größeren Exzessen.

 

2.1.17

 

Aufs Land reisen

 

Wer will nicht gerne in die Ferne reisen,

wo nah man sieht, was Städtern unbekannt.

Du hockst zu Haus, und die Gedanken kreisen

um eines nur: Zwei Wochen raus, aufs Land!

 

Dann sitzt du in der Bahn mit großen Augen.

Das gibt’s ja nicht, was man da sehen kann!

Du denkst dir was, wozu wohl Rüben taugen,

und hinten, ganz versteckt, ein kleiner Tann.

 

Bei jedem Schienenstoß spürst du die Gleise,

die Landschaft scheint ein grünes Spiegelei.

Noch lange nicht zu Ende ist die Reise,

ein kleiner Bahnhof fliegt wie nichts vorbei.

 

Ganz plötzlich hält der Zug, und du willst wissen,

wo du denn bist: Aha, ein unscheinbares Haus,

ein Rotbemützter kreist herum beflissen.

Wie traurig, denkst du, keiner steigt hier aus.

 

Und weiter geht’s, und die Gedanken rollen.

Was in dir denkt, hältst du dann langsam an.

Auf einmal fühlst du dich wie fern verschollen.

Dein erstes Heimweh. Ist wohl schuld daran.

 

5.1.17

 

Wir fahrn nach Lodz

 

Der Zug fährt Tempo 50

durch weiten Himmel, Weizenfelder.

Letzte deutsche Kühe in den Wiesen,

wir fahren nach Polen hinein,

die erste Station, und jeder denkt,

hier war’s mal deutsch

 

Auch wenn es sich keiner

eingesteht; keiner hat es erlebt,

aber alle fahren plötzlich nach Lodz,

jemand summt paar Takte, keiner sagt was,

und dann laufen wir über die Gleise

in dem verlorenen Nest

 

Natürlich grauer Himmel,

wir hatten uns das schon gedacht,

typisch polnischer Bahnhofskiosk,

was wir uns unter typisch polnisch

so vorstellen, die Zigaretten

sind schweinebillig

 

Die Hunde bellen hier polnisch,

Schlange beim Bahnhofsklo,

einer sagt, wie im Osten, und da hat

er fast recht; und die Stadt hinter drei

Schornsteinen, alles nicht sehr

gemütlich, irgendwie grau

 

Dass die hier leben, sagt eine

alte Dame, hier hat mein Sohn gelegen,

will aber keiner wissen, im Zug zurück

rascheln die prallen Einkaufstüten, einer

krakeelt „Deutschland über alles“,

die alte Dame mit feuchten Wimpern

 

21.3.15

 

Warum nicht mal verreisen

 

An manchen Tagen ist mir nach Verreisen,

da will ich von der schönen Welt was sehen,

da will ich fremd durch fremde Straßen gehen,

mir irgendwas vielleicht noch mal beweisen.

 

Wohin ich will? Ich habe keinen Schimmer.

Doch etwas zerrt an mir herum seit Jahren:

Noch niemals warst du auf den Balearen!

Was dafür gut ich kenne, ist mein Zimmer.

 

Mein Sitzfleisch aber flüstert: Bleib zu Hause,

man kann auch ohne fremde Städte leben.

Doch ein Gefühl sagt mir: Du träumst daneben,

dein Leben macht doch täglich bloß noch Pause.

 

Man müsste, ja man müsste fernverreisen,

gewohnte Welt auch mal von außen sehen.

Es kann ja sein, man würde sie verstehen

und nicht bloß um die eigne Achse kreisen.

 

19.5.14

 

Reise wohin

 

Die Autobahn unter den Rädern,

rasen wir durch die Landschaften,

ausgerichtet die Fahrspuren, wir fragen

nicht, wo werden wir ankommen,

was bleibt von uns, wie wird die Fahrt enden;

unser Lachen ist Verzerrung der Züge,

stoisch ertragen wir Staus und Unglücke,

nehmen sie, wie Kurse fallen,

gelassen und plötzlich, wie unbekanntes

Land, das man erfahren haben muss,

wir Reisende in Sachen Leben;

alles ist Traum, wir fahren und sterben

tausend Tode, wissen nicht, ob wir leben,

noch nicht oder nicht mehr

 

18.1.15

 

Traum vom Reisen

 

Man müsste, ja man müsste mal verreisen.

Vielleicht nach irgendwo an einen See,

mit Schwänen drauf, ein Dörfchen in der Näh,

wo Amseln singen, Finken und die Meisen.

 

Die kleine Welt, in die man eingesperrt,

die nutzt sich ab, man kennt bald jede Ecke.

Zu Hause fällt der Putz schon von der Decke,

es ist, als ob was an der Seele zerrt.

 

Jetzt ist es Herbst, der Sommer ist vorbei.

Man trägt schon Winterjacke hingegeben,

bezwingt sein angelerntes Widerstreben,

noch hält man sie für reine Alberei.

 

Den ganzen Winter aber träumt man dann

vom Irgendwo an einem stillen See,

mit Schwänen drauf, ein Dörfchen in der Näh -

ein Traum, den man ja schon mal träumen kann.

 

16.10.13

 

Reisebericht

 

Kurzer Aufenthalt in D.,

wo es die hübschen Häuser geben soll

und die Gemütlichkeit gratis,

auf jedem Teller Thüringer Klöße.

 

Die Wirtin sprach fränkisch,

Sprachgrenze, erklärte sie, zum

Deutschen im Westen, da will

sie hin, falls das Geld reicht.

 

Über Geld haben wir länger

geredet, über die Geschäfte, die

nicht gehen wollen, die Enkel,

ihren Job in Nürnberg.

 

Rennsteig gab es, freundliche Hügel.

Den Ramelow fand ich nicht,

der saß abseits des linken Weges, aber

Jubel auf einer Mauer: Hoch Bodo!

 

Mauern en gros in D.,

ergraut, gemütlich verschimmelt.

Und übrigens, der Zug fuhr später los,

im Bahnhof war’s kalt.

 

7.1.15

 

Namenloses Nest

 

Wir begriffen es nicht,

dieses Dorf mit dem offenen Himmel,

den verschlossenen Blicken.

Die Nachmittagssonne, die über dem

Anger lag, schien melancholisch,

als erinnerte sie sich

besserer Zeiten.

 

Wir mit unserem

Städterverstand liefen herum

um die verriegelte Feldsteinkirche,

vergewisserten uns ihrer Unversehrtheit,

stahlen Holzäpfel aus dem Pastorengarten,

bestaunten vermooste Grabsteine

ausgestorbener Adelsgeschlechter.

 

Es gab nichts zu sagen.

Wir hüteten uns, an verborgene Dinge

zu rühren, wir fanden die Worte nicht, hier

im Dorf der begrabenen Träume,

von dem vorzeiten ein Dichter schrieb,

er habe sogar den Namen vergessen

über so viel Traurigkeit.

 

18.3.16

 

Draußen im Märkischen

 

Klein die Städte,

man vergisst so leicht ihren Namen,

die Nester gleichen sich wie

das Gestern dem Morgen.

 

Kopfsteinpflaster, eine Apotheke,

drei Bankfilialen, Rathaus im

gotischen Stil, und der Marktplatz

hat schon die Quitzows gesehen.

 

Touristenschwerpunkt allerorts,

mit Landschaft und Aussichtsturm,

bevölkert von Dichtern, Likörfabrikanten,

Tüftlern, unbelehrbaren Träumern.

 

Du läufst durch die Straßen,

schämst dich des Lärms deiner Schritte,

und der andere Himmel so fremd,

fremd wie du dir selbst.

 

2.1.15

 

Weltverlassen

 

Herbst, und der Dämmer der Jahre

stäubt durch die Gassen. Das Städtchen

im Tagtraum eines langen, öden

Nachmittags.

 

Innewerden des anderen Tempos.

Ahnen, was Fassaden verschweigen.

Hier geht der Wind durch den Abend,

Katzenaugen bewachen die Nacht.

 

Ein Hall aus längst Begrabenem

weht um die Häuser. Die Schmerzensreiche,

gehüllt in Marmor und Verzweiflung,

trauert der eigenen Seele nach.

 

Sinnende Suche von Spuren.

Und ein Hofhund verbellt irgendwo

die trügerischsten Kleinstadtträume vom

Ausbruch ins Offene.

 

3.8.14

 

Die kleine Stadt

 

Du schlenderst durch die fremde kleine Stadt.

Und nichts, was irgend drängte, du hast Zeit.

Du sehnst dich nach der Welt voll Einsamkeit,

die noch den Charme vergangner Tage hat.

 

Aus Blumenhöfen tönen Frauenstimmen,

und durch Gardinen siehst du Köpfe spähen.

Tief über Dächern kreisen schwarze Krähen,

und frühe Sterne sieht man silbern glimmen. 

 

Hier lässt die Stille enge Gassen schweigen,

und nur dein eigner Schritt stört diese Welt.

Hier wurden Uhren längst schon abgestellt,

die ernst vom Dunkel vieler Stunden zeugen.

 

Die Differenz zur großen Stadt fällt auf.

Still sitzt du auf der Bank im letzten Licht.

Du bist mit dir im guten Gleichgewicht,

bedenkst still deines Erdenlebens Lauf.

 

Sehr langsam nur verlässt du das Quartier.

Vielleicht hast du ein wenig Glück verspürt,

ein Stück von dem, was deine Seele rührt.

Du gehst und nimmst die kleine Stadt mit dir.

 

6.6.13

 

Auf der Flucht

 

Dann packst du einfach deine Siebensachen,

verschwindest spurlos, löst dich auf in Luft.

Wird Zeit, sich auf die Socken nun zu machen,

nur raus, nur raus aus dieser dumpfen Gruft!

 

Am Bahnhof siehst du, es gibt viele Züge.

Nach Langensalza und auch nach Paris.

Und Brieselang? Das kennst du zur Genüge.

Was fehlt, das ist ein Zug ins Paradies.

 

Auf Wolken schweben, wo die Engel singen.

Wo alles Frieden und auch sonst gerecht.

Und du stehst da: Wer soll dich dahin bringen?

Was bleibt - du wirfst dich wieder ins Gefecht.

 

24.3.14

 

Globetrotter

 

Man reist sein Leben lang nur hin und her,

mal Kleinstadt und mal Riesenmetropole.

Daheim sieht man sie nur mit Aureole,

vergisst die Plackerei und die Beschwer.

 

Ein jeder aber bleibt auch gern zu Hause.

Das Zimmer dort in Bumsstadt war ganz nett,

doch schläft man süßer ein im Ehebett,

in seiner eignen, angewärmten Klause.

 

Man ärgert sich gehörig und man flucht.

Doch Reisen bildet, und man weiß Bescheid,

so tut man gleich was für die Eitelkeit.

 

Die fremde Gegend irritiert, man sucht.

Und wie gewohnt, plant man Verspätung ein.

Ansonsten steht man rum und ist allein.

 

8.10.13